Comeback

Sam Taylor-Wood

erschienen in: Kunstzeitung #148, Dezember 2008, S. 22 und in: Kunstjahr, #9, Regensburg (Lindinger + Schmid) 2009, S. 118f.

Als Protagonistin der YBAs, der Young British Artists, die Mitte der neunziger in London und weit darüber hinaus für Furore gesorgt haben, war Sam Taylor-Wood neben Künstlern wie Tracey Emin, den Chapman-Brüdern, Damien Hirst und Sarah Lucas seit dieser Zeit niemals wirklich weg vom Fenster. Jedoch war es in den vergangenen Jahren deutlich ruhiger um die britische Künstlerin geworden. Beinahe schlagartig hat sich dies in den vergangenen Monaten geändert.

„Es war ein irrsinniges Jahr“, bestätigt Sam Taylor-Wood. Angesichts ihres insgesamt als, gelinde ausgedrückt, turbulent verlaufenden Lebens kann diese Aussage kaum ernst genug genommen werden.1967 in Yorkshire als Tochter eines Bikers und einer Yoga-Lehrerin geboren, wurde die Familie früh vom Vater verlassen. Die Mutter zog mit ihren Kindern in eine Kommune, wo sie, wie Taylor-Wood erzählt, „jede Woche die Religion wechselten“, und verließ die Kinder schließlich, um mit einem neuen Partner zusammenzuziehen. Da war Sam Taylor-Wood 16.

Nach dem Schulabschluss ging sie nach London, wurde Managerin eines Clubs und nahm das Studium am Goldsmiths College auf, wo sie sich in Jake Chapman verliebte. Die Beziehung dauerte neun Jahre und erlebte den Hype um die YBAs, die beide Künstlern zu Kunst-Superstars machte. Auch wenn Taylor-Wood behauptet, sie hätte erst nach dem Ende der Beziehung zu Chapman angefangen „ernsthaft“ eine Künstlerin sein zu wollen. Eine solche war sie zu dem Zeitpunkt jedoch bereits und hatte mit Werken wie „Five Revolutionary Seconds“ oder „Travesty of Mockery“ (beide 1995) große Aufmerksamkeit und Anerkennung erhalten. Kurze Zeit später dann lernte sie Jay Jopling kennen, den Gründer der White Cube Gallery und Galeristen der YBAs. Fortan bildeten die beiden das „golden couple“ der Londoner Kunstszene.

Doch 1998, nur wenige Monate nach der Geburt ihrer Tochter Angelina, erhielt die Künstlerin die Diagnose Darmkrebs. Die Verleihung des Turner-Preises 1998, für den sie nominiert war, musste sie in der Klinik am Fernseher mitverfolgen. Kaum von diesem schweren Schlag erholt und als geheilt entlassen, erkrankt sie ein Jahr später an Brustkrebs. Auch von diesem gilt sie inzwischen als vollständig geheilt.

Es ist schwer auf Sam Taylor-Woods Arbeiten zu blicken ohne an ihr Privatleben zu denken, das besonders in den britischen Medien aufmerksam verfolgt wird. Dieser Umstand wird nicht dadurch gemildert, dass Taylor-Wood mit Vorliebe mit Celebrities zusammengearbeitet hat. Zu ihren berühmtesten Arbeiten gehört der 107-minütige Film „David“ (2002), in dem Sam Taylor-Wood den Fußballer David Beckham mit der Kamera beim Schlafen beobachtet. Auch ihre Serie „Crying Men“ (2004) hat das Interesse einer breiten Öffentlichkeit auf sich gezogen, denn darin kann man berühmte Schauspielern, unter anderem Laurence Fishburne, Jude Law, Robert Downey Jr. und Paul Newman, beim Weinen zusehen.

Bei dieser Nähe zum Showbiz wundert es nicht, dass in diesem Oktober die Londoner Zeitungen meldeten, Madonnas Ex-Ehemann Guy Ritchie hätte die Vernissage seiner Freundin Sam Taylor-Wood zum Anlass genommen, mal wieder richtig auszugehen. Es war die Eröffnung von Taylor-Woods aktueller Ausstellung „Yes I No“ in der White Cube Gallery. – Womit wir im eingangs erwähnten „irrsinnigen Jahr“ angekommen wären. Was war nun also so irrsinnig an 2008?

„Als ich schwanger war, habe ich ein Jahr Auszeit genommen und gar nichts gemacht, und ich glaube, da staut sich alles auf, und danach gibt es dann dieses Herausbrechen von Ideen.“ Sam Taylor-Woods jüngere Tochter ist nun gerade anderthalb Jahre alt, und die Ideen ihrer Mutter scheinen fürs Erste nicht abzureißen. Und das obwohl – noch ein kurzer (und, versprochen: letzter) Schritt zum privaten „Irrsinn“ dieses Jahres zurück – das „golden couple“ Taylor-Wood/Jopling im September dieses Jahres nach elf Jahren seine Trennung bekannt gab. Doch es ist nicht das erste Mal, dass die Künstlerin unter Beweis stellt, dass Schicksalsschläge und Widrigkeiten sie, zumindest künstlerisch, nicht kleinkriegen. Ihre White Cube-Ausstellung „Yes I No“ vereint Selbstportraits als „Escape Artist“, auf denen die Künstlerin an Luftballons in ihrem Studio schwebt, wunderbare neue Landschaftsfotografien, inspiriert durch Emily Brontes „Wuthering Heights“, bizarre Bilder von Clowns und den unumstrittenen Höhepunkt der Schau: „Sigh“, eine 8-Kanal-Videoinstallation, die das BBC Concert Orchestra zeigt, wie es, gekleidet in Alltagskleidung, ein eigens komponiertes Stück ‚spielt’ – allerdings ohne Instrumente. Daraus entsteht eine wahrhaft geisterhafte und sehr bewegende Performance.

Im Herbst hat sie die Klitschko-Brüder jeweils nach einem Boxkampf in ihrer Kabine gefilmt, fasziniert von der „Ruhe dieser großen Giganten“. Auf Kurzfilmfestivals läuft zur Zeit ihr Film „Love you more“, der für die Goldene Palme in Cannes nominiert war. Außerdem bereitet Sam Taylor-Wood gerade einen Spielfilm über John Lennons Jugend vor, bei dem sie Regie führen wird – „Ich wollte noch niemals etwas so dringend machen wie diesen Film!“ -, und im Oktober erschien die von den Pet Shop Boys produzierte Coverversion des Achtziger-Hits „I’m in love with a German Filmstar“ von The Passions, für die Taylor-Wood den Refrain einsang. In dem Video posiert die Künstlerin mit Zylinder und Frack in Marlene Dietrich-Pose, unbeweglich, nur der Qualm ihrer Zigarette steigt nach oben.

Ich wollte Künstlerin werden weil es endlose Möglichkeiten bedeutet“, hat die Künstlerin einmal gesagt, „Kunst war ein Weg mich neu zu erfinden.” Genau das scheint Sam Taylor-Wood gerade wieder einmal zu tun, und das in einem Ausmaß und einer Vielfältigkeit, die nur in Staunen versetzen kann.