Oui

Überlegungen zu den Bildern von Anne Neukamp

aus: Anne Neukamp, Kat. Rudolf-Scharpf-Galerie des Wilhelm-Hack-Museums, Ludwigshafen am Rhein, hg. von Barbara J. Scheuermann und Reinhard Spieler, Köln 2012


Für das Umschlagbild dieses schmalen Kataloges hat die Künstlerin Anne Neukamp nicht, wie man erwarten würde, eines ihrer Gemälde ausgesucht, sondern eine Form auf schwarzem Grund. Es ist nicht ganz klar, worum es sich bei dieser Form handelt; entfernt erinnert sie an den Kopf eines Pferdes, an die Schachfigur des Springers, an das Blatt einer tropischen Pflanze oder aber auch an eine klassische Malerpalette, letzteres eine besonders naheliegende Assoziation im Kontext einer Gemäldeausstellung. Gemalt begegnet uns die vieldeutige Form in dieser ersten institutionellen Einzelausstellung Anne Neukamps als Mischling (2012) wieder, als eigenständiges – immer noch rätselhaftes – Objekt innerhalb einer mehrschichtigen, nicht minder rätselhaften Komposition aus malerisch unterschiedlichst behandelten Flächen, die offensichtlich aufgrund wohlüberlegter künstlerischer Entscheidungen so und nicht anders gestaltet sind, denn von spontaner Expressivität im Sinne von gestischer Malerei ist hier nichts zu finden. Und doch geben weder die komplexe malerische Gestaltung noch die präzise konturierte, aber nicht zuzuordnende Form Aufschluss über einen möglichen ‚Inhalt’ des Bildes. Da es sich allerdings auch nicht um ein gegenstandsloses Bild zu handeln scheint, bleibt also die Frage, was wir hier vor uns haben.

Diese Frage gilt für dieses Bild wie für jedes andere der in den letzten Jahren entstandenen Gemälde Neukamps, von denen wir die wichtigsten in unserer Ausstellung in der Rudolf-Scharpf-Galerie versammeln. Was ist darauf zu sehen? Titel wie Saboteur, Fermate, Aussicht oder Sourdine geben mal mehr mal weniger genaue Hinweise, aber niemals eine Antwort, sie belassen das zu Sehende in einer Sphäre des Uneindeutigen und Unerklärbaren. Diese Offenheit ist schon häufig und zu Recht festgestellt worden. Sie steht in einem besonders reizvollen Spannungsverhältnis zu dem einladenden, ja oftmals geradezu verführerischen ersten Eindruck, den die Bilder mit ihren Motiven aus der Populärkultur, mitunter bestechend harmonischen Formen und ihrer komplexen Maltechnik vermitteln. Doch geht es der Künstlerin wirklich darum, mit diesem Spannungsverhältnis Erwartungen des Betrachters zu unterlaufen, ihn zu verunsichern und ihm Rätsel aufzugeben?


In einem kürzlich erschienenen Aufsatz verweist Peter Geimer auf das in Bezug auf Kunstwerke immer wieder zu lesende Kritiker- und Kuratorenlob ihrer „Undefinierbarkeit“ und „hermeneutischen Unerschöpflichkeit“. „Solche Statements“, so Geimer, „folgen einer einfachen Dramaturgie. Zunächst wird eine recht unwahrscheinliche Gestalt konstruiert: der zurückgebliebene, pedantische Kunstbetrachter, der sich durch Mehrdeutigkeit bedroht fühlt, sämtliche Werke in Schubladen stecken will, von Kunstwerken unumstößliche Wahrheiten verlangt und im Museum auf keinen Fall überrascht werden will. Vor der Folie dieser Einfältigkeit kann das Kunstwerk dann mit Macht sein subversives Potential entfalten.“ Es darf angenommen werden, dass Anne Neukamp nicht für diese „recht unwahrscheinliche Gestalt“ des „pedantischen Kunstbetrachters“ malt, sondern für ein mitdenkendes, aufgeschlossenes Publikum. Doch auch dieses dürfte bei näherer Betrachtung eines Bildes wie Saboteur, das riesenhafte metallfarbene Fingerspitzen vor rosa-wolkigem Hintergrund zeigt, ein Gefühl der Ratlosigkeit befallen – um was für eine Hand handelt es sich hier, was bedeutet die angedeutete Geste, was sind das für Formen, die man hinter den rosafarbenen Verwaschungen zu erkennen glaubt?

Zu Recht hat Isabelle Graw die Frage aufgeworfen, ob Geimers „Argumentation in letzter Konsequenz nicht auf einen Abschied von dem Topos der Irreduzibilität der Kunst hinausläuft“, also bedeuten würde, dass Kunstwerke, die sich nicht zur Gänze erschließen lassen, von einer näheren Betrachtung beziehungsweise einer Beurteilung ihrer Qualität ausgeschlossen werden müssten. „Wäre dies“, fährt Graw fort, „nicht vorschnell angesichts von künstlerischen Arbeiten, die uns gerade deshalb interessieren, weil sie nicht in Bedeutung aufgehen und nicht sogleich weg erklärt werden können? Wie unterscheide ich diese ‚gute’ Bedeutungsoffenheit von der fragwürdigen Vernebelung (...)?“ Geimers Antwort, dass „im Einzelfall“ entschieden werden müsse, mag nicht nur für denjenigen, „der sich durch Mehrdeutigkeit bedroht fühlt“, enttäuschend sein. Ein erster Schritt auf dem Weg zur Unterscheidung zwischen Offenheit und Vernebelung wäre wohl, es nicht, wie es so oft geschieht, bei der reinen Behauptung von Offenheit zu belassen – dass Anne Neukamps Gemälde uneindeutig sind, ist nicht von der Hand zu weisen, nur wie erreicht die Künstlerin dies, und, noch interessanter, warum macht sie das und was folgt daraus für das Bildverständnis?

„Die“ Malerei
Mit „der“ Malerei ist man in den letzten Jahrzehnten nicht gerade zimperlich umgegangen – sie wurde für obsolet und gar für tot erklärt, sie wurde wiederbelebt und musste, mehr als jede andere Kunstform, immer wieder als Austragungsort für existentielle kunstbezogene Gefechte dienen, die ihren Sinn und ihre Wirksamkeit in Frage stellten. Nicht zuletzt deshalb wurde in der Vergangenheit um einen erweiterten Malereibegriff gerungen und schließlich eine medieunspezifische Analyse von gemalten Bildern gefordert, also eine Betrachtung des Kunstwerks, die nicht seine technischen und handwerklichen Bedingungen und Eigenschaften in den Mittelpunkt stellt, sondern Konzept und das, was man allgemein als ‚Aussage’ bezeichnet. Gemaltes wird, mehr als Fotografiertes oder Gefilmtes, als direktes und persönliches Ergebnis einer künstlerischen Entscheidung gesehen, womit die Künstlerin oder der Künstler gleichsam im selben Raum wie der Betrachter steht, vertreten durch das Originalbild. Isabelle Graw spricht von Malerei als einer „Form der Zeichenproduktion (...), die als besonders personalisiert erlebt wird. Es liegt an der Indexikalität der Zeichen, dass sie das Band zwischen dem Produkt und der abwesenden Person der Künstlerin besonders reißfest zu schnüren vermag.“ Für eine Künstlerin wie Anne Neukamp, die erklärtermaßen keinen Wert darauf legt, dass der komplexe Malprozess, in dem ihre Bilder entstehen, offengelegt wird, stellt diese enge „Verschnürung“ von Künstlerin und Bild fraglos ein besonderes Problem dar. Warum aber entscheidet sich eine zeitgenössische Künstlerin dann für das kunsthistorisch überfrachtete und daher konzeptuell womöglich besonders knifflige Medium der Malerei?
Anne Neukamp gehört sicher nicht zu den Künstlern, die es sich einfach machen – aber welcher Künstler, dessen Kunst uns ernsthaft interessiert, tut das schon? Dennoch sei diese vermeintliche Plattitüde hier angeführt, denn damit lässt sich Neukamps Auffassung vom Bild durchaus als Aufgabe oder Problem ausdrücken. Wichtig erscheint mir hierbei aber auch der Hinweis darauf, dass ein Bild nicht als Illustration einer These oder einer Idee verstanden werden darf; das Bild selbst ist immer das Objekt und gleichsam die (vorläufige) Lösung beziehungsweise die Antwort auf die Frage, was ein gemaltes Bild heutzutage noch sein kann, darf, soll oder sogar sein muss und wie es gegen Bilder aus anderen Medien – besonders den allgegenwärtigen digitalen – bestehen kann. Was zeichnet ein Gemälde gegenüber anders generierten Bildern aus, abgesehen von seiner besonderen medienspezifischen äußeren Beschaffenheit?


Die Auseinandersetzung mit der Vielzahl von anderen Bildern, von denen wir immerzu umgeben sind, zeigt sich in Neukamps wiederkehrender Verwendung von Motiven aus populärkulturellen Zusammenhängen wie Comics, Werbung oder Magazinen. Gefundene Motive – Maskottchen, Wolken, Münder, Logos, Icons etc. – treffen auf abstrakte Formen, werden übereinander gelegt, verwaschen, zerteilt, abstrahiert. Kausale Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Bildelementen werden nicht angeboten und lassen sich auch nicht ableiten. Auch die stets kurzen Titel der Arbeiten geben keinen direkten Aufschluss. Sie führen den Betrachter eher von einer dingbezogenen Leseweise weg, zum Beispiel, wenn die Darstellung nicht näher zu identifizierender, aber durchaus verführerischer Körperteile (oder handelt es sich doch um das Stück eines Vorhangs?) mit Fermate – dem Begriff für ein Ruhezeichen in der Musik – bezeichnet ist. Eine Komposition, die eine rosafarbene Herzform beinhaltet, heißt Etui (2012). Von der geradezu gefährlich kitschigen Form des Herzes werden die Gedanken damit zu dem Prinzip der Hülse oder Kapsel hingelenkt, und damit zu einem Behältnis, das sich in Zusammenhang mit der Anlage der Formen bringen lässt, die ineinander verschachtelt sind – oder einander überblenden? Oder sind sie schlicht als übereinander gemalte Flächen zu betrachten?

Besonders bei den beiden zuletzt genannten Gemälden – Fermate und Etui (beide 2012) – tritt Anne Neukamps Interesse an bestimmten ‚Sorten’ von Bildern und ihrer Konnotation zutage. Waren es in früheren Bildern häufig gefundene, auch kunsthistorisch stark aufgeladene Motive wie zum Beispiel Spiegel, Wolken oder Vorhänge, so handelt es sich bei der angedeuteten Partie nackter Haut, dem Herzen, aber auch bei den leicht geöffneten Lippen in Oui (2011) oder den an Netzstrumpfhosen erinnernden Gitterstrukturen in Aussicht (2012) recht eindeutig um, im weiteren Sinne, verführerische Motive, die im Falle der genannten Bilder aus dem Jahr 2012 auch noch in einem fleischigen oder lieblich rosigen Farbton gemalt sind.

Man könnte diesen Einsatz klassisch ‚sinnlicher’ Motive und Farbtöne durchaus riskant nennen – indem Neukamp sich ihre Verführungskraft gleichsam als Einladung ins Bild zunutze macht, setzt sie sich und den Betrachter der Gefahr aus, auf die verheißungsvolle Gefälligkeit der appetitlich rosafarbenen Bildelemente hereinzufallen. Ihre Kunst aber besteht unter anderem darin, innerhalb des jeweiligen Bildes konstruktiv mit dieser Gefälligkeit umzugehen, und zwar indem sie diese eben nicht demonstrativ stört, zurücknimmt oder unterminiert, sondern sie, viel subtiler, als ‚Elemente unter anderen Elementen’ zum restlichen Bildgeschehen in Beziehung setzt. Die auf den ersten Blick vermeintliche Eindeutigkeit löst sich zugunsten einer Komposition auf, in der allen Elementen ihrer Heterogenität zum Trotz die gleiche Relevanz innerhalb des Bildes zugesprochen wird.


Was wir also vor uns haben, wenn wir ein Bild von Anne Neukamp anschauen, ist ein Gemälde, für das die Kategorien ‚gegenständlich’ und ‚gegenstandslos’ nicht greifen, denn es ist schlicht und ergreifend beides und hat somit diese immer noch viel benutzte Unterscheidung überwunden. Weit entfernt davon, den Betrachter mit dieser Offenheit verunsichern zu wollen, geht es der Künstlerin darum, das Moment der Spannung zwischen bestimmten Motiven und Bilderfindungen auszumachen, zu halten – Fermate! – und im Bild zu bannen. Dies erreicht Neukamp, indem sie heterogenste Elemente zu einem vordergründig homogenen Ganzen verknüpft. Man kann sich trotz allen Bemühens um eine möglichst medienunspezifische Bildbetrachtung der Einschätzung nicht erwehren, dass sich die Malerei für dieses Vorhaben wie kein anderes Medium eignet: Nirgendwo sonst wäre es möglich, auf derart konsequente Weise Teile unterschiedlichster Herkunft und Beschaffenheit auf dieselbe Abbildungs- beziehungsweise Bedeutungsebene zu zwingen und somit ihre Relevanz zu betonen und zugleich zur Disposition zu stellen. Damit erweist sich die für Anne Neukamps Gemälde so charakteristische Vieldeutigkeit als gar nicht mal so offene, sondern vielmehr schlüssige Veranschaulichung eines komplexen künstlerischen Prozesses. 


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