Vom Narrativ(ier)en im Werk von Anja Ciupka oder: Was wäre wenn?

veröffentlicht in: Anja Ciupka. Passionate Single. Hg. Kunstverein Arnsberg 2008, online: anjaciupka.de

Aus voller Fahrt zum Halten gekommene und von ihren Fahrern mitten auf der Fahrfläche verlassene Autoskooter sind ein von der Kirmes durchaus vertrauter Anblick. Nur stehen sie im Falle von Anja Ciupkas Arbeit „Skooter“ (2005) nicht auf der metallenen Fläche eines von Musik beschallten und mit fahrfreudigen Besuchern bevölkerten Jahrmarktfahrgeschäftes, sondern auf dem glatten Boden eines stillen Ausstellungsraumes. Ihre Stromabnehmer sind mit einem von der Decke hängenden, über 120 Quadratmeter großen Gittergeflecht verbunden, das in einen Aluminiumrahmen gespannt ist. Es gibt keine Verkaufsbude, keine Musik, keine blinkenden Lichter, ja, noch nicht mal eine Seitenbegrenzung, die die Fahrfläche bezeichnen würde. Sie wird allein durch das Deckengitter und die Positionierung der beiden Autoskooter definiert oder eher: angedeutet.

Diese weitgreifende Einnahme des Raumes, ohne ihn tatsächlich als solchen zu markieren, ist beispielhaft für Ciupkas künstlerische Arbeit. Ähnlich geht sie in ihrer Installation „Ballfangzaun“ (2004) vor, die einen Raum der Kunstakademie Düsseldorf zu ungleichen Teilen mit einem fast deckenhohen Gitter trennt, das so den größeren, betretbaren Teil als Spiel- oder Aktionsfeld besetzt. Weitere Hinweise werden hier nicht gegeben. Bei „Skooter“ jedoch stehen zwei Boxautos bereit. Ihre Scheinwerfer leuchten und signalisieren damit: die Fahrt kann gleich (wieder) losgehen. Man müsste nur einen Chip kaufen, sich in einen der Skooter setzen und den Chip in den Schlitz werfen, um loszulegen. Nicht jeder Ausstellungsbesucher mag tatsächlich erwarten, gleich einen Chip ausgehändigt zu bekommen, um eine Spritztour durch den Ausstellungsraum machen zu können, aber ohnehin ist hier das Entscheidende: die Idee ist plötzlich da – was wäre wenn?

Aufgestellt sind die Wagen schräg hintereinander, womöglich bereit zum Zweikampf, zur nächsten Wettfahrt, oder gerade mitten in der letzten Wettfahrt langsam ausgelaufen, denn die Fahrt mit dem Autoskooter ist zeitlich begrenzt und kann nur mit dem Kauf des nächsten Fahrchips wieder aufgenommen werden. Ist es Zufall oder Absicht, dass der Wagen mit der deutschen Fahne hinter demjenigen mit der amerikanischen Fahne zum Stehen gekommen ist?

„Skooter“ zeichnet sich weniger durch ein Moment des Erzählens aus, als vielmehr durch ein Moment des Zeigens – eine Geschichte wird hier nicht dargestellt, sondern angedeutet, und dies mit sehr wenigen Mitteln. Allein der Anblick der beiden Skooter ruft eine Vielzahl von Assoziationen und Erinnerungen hervor. Der weitaus größte Anteil an der Konstruktion einer möglichen Erzählung bleibt dem Betrachter überlassen, der aufgrund der Abwesenheit eines Protagonisten womöglich gleich selbst zum Helden seiner Story wird. Die Beschreibung des Werkes als „narrativ“ würde also zu kurz greifen.

„Narrativität“ kann als kognitives Schema aufgefasst werden, das der Betrachter anwendet, um bestimmte im Werk gegebene Sachverhalte zu erklären.[1] Dieses Einbinden auch von an sich unzusammenhängenden Faktoren in eine Geschichte scheint tatsächlich ein Grundbedürfnis oder vielleicht eher: ein Reflex des Menschen zu sein, um vorgefundene Gegebenheiten aufzunehmen und zu „verstehen“. So lässt sich auch erklären, „dass die Narrativität eines konkreten Werks ‚schemenhaft’ bleiben mag und es dennoch narrativ gelesen werden kann, auch wenn es sich um nicht erzählervermitteltes fiktives Erzählen handelt”[2], wie im Falle von Anja Ciupkas „Skooter“. Obwohl die Künstlerin nur einen der drei für eine Erzählung wesentlichen Parameter Zeit, Raum und Handlung verwendet – nämlich den Raum und diesen noch nicht einmal klar umrissen -, ist der Betrachter sofort bereit, eine Geschichte, oder wenigstens Bruchstücke einer solchen, zu suchen. Die narrativen Fragmente, die die Künstlerin zur Verfügung stellt, befriedigen das mögliche Bedürfnis nach einer kohärenten und linearen Erzählung nicht, vielmehr regen sie dazu an, eigene Antworten (und Fragen) zu finden. Abhängig von Persönlichkeit, Erfahrung und Stimmung wird diese Geschichte notwendigerweise bei jedem Betrachter anders ausfallen.


Einer klassischen Erzählung am nächsten kommt die Künstlerin womöglich in „Überfall auf Meckis Ranch“ (2004). Das achtminütige Video zeigt nach einer Ansicht bei Tage eine Nachtaufnahme des Schrebergartens  „Meckis Ranch“ Zwei maskierte Gestalten brechen in den Garten ein, womit sie einen Alarm mit ohrenbetäubender Sirene, Flutlicht und Rundumbeleuchtung auslösen. Doch anstatt zu flüchten oder den Alarm fachmännisch auszuschalten, um den Überfall ungestört ausführen zu können, stehlen sie den Mast, an dem der Alarm samt Lampe befestigt ist.

Die Geschichte weist ganz konventionell einen linearen Zeitablauf, einen erkennbaren Raum und zwei handelnde Akteure auf. In den Mittelpunkt stellt die Künstlerin jedoch den entwendeten Mast: präsentiert wird das Beweisvideo im Ausstellungsraum nämlich mitsamt dem corpus delicti.

Wie in „Skooter“ oder „Ballfangzaun“ überführt Anja Ciupka auch in dieser Arbeit alltägliche Objekte aus dem Außenraum in den Innenraum und verwandelt sie mit Hilfe weniger Eingriffe in Projektionsflächen für Assoziationen und Verdachtsmomente. In „Überfall auf Meckis Ranch“ gibt die Künstlerin dem Verlangen des Betrachters nach Erklärungen jedoch scheinbar nach, indem sie dem Alarmmast ein vermeintliches Dokumentarvideo beifügt. Allerdings wirft das Video viele Fragen auf: Was verbirgt sich in dem Schrebergarten „Meckis Ranch“, das die Installation eines solch aufwändigen Alarmsystems nötig macht? Warum haben die Einbrecher den Alarmmast – und sonst nichts – gestohlen? Ist womöglich die Bewachungsanlage wertvoller als das Gebiet, das sie bewacht? Wer hat die Einbrecher bei ihrer Aktion gefilmt? Und wer brachte das gestohlene Objekt in den Ausstellungsraum? Führt letztere Frage nicht schließlich zu dem Verdacht, dass die Künstlerin an dieser eigenartigen Aktion, die einer Mutprobe gleicht, aktiv beteiligt war? Und wenn ja, in welcher Rolle – als Filmerin oder als Einbrecherin?

Unter dem Gesichtspunkt logischer Erklärungsversuche führen diese Überlegungen in eine Sackgasse – den Alarm einer Schrebergartenanlage zu entwenden und als Trophäe auszustellen, entbehrt jeglicher Vernunft und ist in keiner Hinsicht einleuchtend. Als Betrachter muss man sich von der Erwartung verabschieden, dass die Narrativierung, also das Schließen der gegebenen erzählerischen Lücken durch eigene Denkleistung, zu einem inhaltlich sinnvollen Ergebnis führt. Man meint die Schwelle förmlich zu spüren, über die man an genau diesem Punkt – an dem die Erzählung als dysfunktional erkennbar wird – das unsichere Terrain der Kunst betritt. Auf diesem Terrain gelten Fragen nach Logik und  Kausalzusammenhängen nicht mehr, geschweige denn dass Antworten geboten würden. Man löst am besten gleich die Füße ein wenig vom unebenen Grund und versucht nun in die Zwischenräume zu gelangen, die sich in den narrativen Lücken ergeben.



Die erzählerische Lücke, die Leerstelle, macht Anja Ciupka explizit in ihrer Arbeit „The Ritz“ (2005) zum Thema. Ähnlich wie in „Überfall auf Meckis Ranch“ werden hier ein auf dem Boden stehender Monitor gemeinsam mit einem zentralen Objekt aus dem dort gezeigten Video präsentiert, der Leuchtschrift „The Ritz“ des gleichnamigen Hotels in London. Vom Lesen der gleißenden Schrift geblendet, kann der Betrachter erst nach einigen Augenblicken den Raum um sich und das Video erkennen, das Prinz Charles und seine langjährige Lebensgefährtin Camilla Parker Bowles bei ihrem ersten gemeinsamen öffentlichen Auftritt 1999 vor dem Londoner „Ritz“-Hotel zeigt. In dem achtminütigen Video werden die Aufnahmen dieses von der Öffentlichkeit weithin wahrgenommenen Ereignisses präsentiert, die nur in Zeitlupe abgespielt werden konnten, weil sie vom Blitzlichtgewitter der anwesenden Fotografen so überstrahlt wurden, das bei normaler Ablaufzeit buchstäblich nichts zu erkennen war. Selbst ohne die Störung der extremen Blendungen durch die Blitzlichter wäre allerdings nur ein Bruchstück aus der ganzen Geschichte zu sehen. Ohne das Hintergrundwissen um das Drama um den Prinzen und seine Frauen kann der Betrachter mit diesen Bildern nichts anfangen. Erst das sich in den Blitzlichtern ausdrückende hysterische Interesse der Öffentlichkeit verwandelt das denkbar banale Geschehen – Mann und Frau steigen aus einem Auto und betreten ein Hotel –  in eine „Story“.[3]  

Ironischerweise bringt dieses Interesse der beim Ereignis anwesenden Zuschauer die Geschichte zum Verschwinden: je mehr sie sehen wollen und je mehr sie versuchen die Geschichte zu dokumentieren, also festzuhalten, desto mehr entgleitet sie ihnen und wird schließlich beinahe unsichtbar. Dem Betrachter im Ausstellungsraum widerfährt ähnliches:



Mit dem Wechsel von Hell und Dunkel und dem Einsatz von künstlichem Licht arbeitet Anja Ciupka auch in der Installation „blackout“ (2007). In einer black box präsentiert die Künstlerin das zwanzigminütige Video, das bei gleichbleibender Kameraeinstellung eine mit einer 80 Meter langen Lichterkette geschmückte Tanne nachts auf einer Waldlichtung zeigt. Das mit einer im Night-Shot Modus einer Videokamera aufgenommene, schwarzweiße Bild wird von dem lauten Knattern eines Generators begleitet, der die Lichterkette mit Strom versorgt. Sein Lärmen steht in starkem Widerspruch zu dem an sich idyllischen Bild einer weihnachtlich geschmückten Tanne im nächtlichen Wald. Die Stromzufuhr wird immer wieder gestört oder unterbrochen, und die Lichter gehen in unregelmäßigen Rhythmus an und aus. Entsprechend nimmt das Knattern des Generators zu und ab. Anders als in „The Ritz“ verdecken die Leerstellen (die in dem einen Fall durch Überblendung, in diesem Fall durch Verdunkelung entstehen) nicht bestimmte Ereignisse, sondern es geschieht tatsächlich nichts weiter als dass Lichter an- und ausgehen. Die Momente, in denen der Generator zum Schweigen kommt, bedeuten Augenblicke einer wohltuenden Stille – in denen jedoch gleichzeitig auch das Bild den Blicken entzogen wird. In diesen Sekunden ist der „blackout“ komplett und kann nicht nur als Stromausfall oder Verdunkelung empfunden werden, sondern auch in seiner Bedeutung als Ohnmacht. Diese geht erst vorüber, wenn das Knattern wieder einsetzt und die Lichter am Tannenbaum erneut aufleuchten.

Es gibt keine weiteren Hinweise, keine Erklärung dafür, wieso nachts im Wald mit großem Aufwand ein leuchtender Weihnachtsbaum betrieben – und mit einer speziellen, für Dunkelheit geeigneten Kamera gefilmt – wird. Auch langes Ausharren vor dem Monitor bietet keinen Aufschluss. Wenn die Lichter auf der Tanne am hellsten scheinen, sind schwach die umstehenden Tannen zu erkennen. Wenn das Licht ganz erlischt, ist der dunkle Wand im Kontrast zu dem etwas helleren Nachthimmel zu sehen.

Anja Ciupka verzichtet hier auf  jegliche Erzählung und lenkt so die ganze Aufmerksamkeit auf die bizarre Konstellation einer als Weihnachtsbaum geschmückten und mit viel Lärm betriebenen Tanne mitten im nächtlichen Wald. Einer weiteren narrativen Einbettung bedarf es nicht. Auch hier stellen sich dem Betrachter unweigerlich eine Vielzahl von Fragen: Wer hat die Tanne mitten im Wald weihnachtlich geschmückt? Wer hat sich die Mühe gemacht, den Generator eigens in den Wald zu schaffen? Und warum? Warum geht der Generator immer wieder aus? Und was geschieht, wenn er schließlich ganz ausfällt? Wird die Lichterkette dann stillschweigend wieder abgenommen? Ein sich hieraus ergebender reizvoller Gedanke ist die Vorstellung, dass sich die geschmückte Tanne in dem Moment, in dem der Betrachter das Video anschaut, noch irgendwo auf einer Waldlichtung steht – man müsste nur mit einem Generator in den Wald gehen und sie erneut zum Leuchten bringen...

All diese Überlegungen werden nicht ausgelöst, weil hier ein narrativer Rahmen geboten würde, sondern weil Anja Ciupka in „blackout“ mit so stark aufgeladenen Bildern wie dem dunklen Wald oder des Weihnachtsbaumes arbeitet. Es genügt, diese aus Erzählungen und Märchen vertrauten Bilder lediglich zu zeigen, um den Betrachter zum Narrativieren zu verleiten. Die steten Unterbrechungen durch das Ausfallen des Generators stören einerseits den Versuch eine kohärente Geschichte zu erschließen, eröffnen andererseits jedoch solch markante Lücken, dass es unumgänglich ist, sich sogleich von allen bekannten Geschichten über Weihnachtsbäume und finstre Wälder zu lösen, um nicht dem „blackout“ zum Opfer zu fallen.



Auf den ersten Blick zeigt das Video „Turn Over“ (2006) noch weniger: anfangs ist nur der Flur eines Bürogebäudes zu sehen. Ab und zu durchquert ein Mitarbeiter der Bank das Bild und geht den Gang entlang. Wie in „Überfall auf Meckis Ranch“, „The Ritz“ und „blackout“ bleibt die Kameraperspektive während des ganzen, neun Minuten währenden Videos unverändert. Erst nach ein paar Minuten betreten von links kommend einige Schafe die Bildfläche, die dank der Perspektive wie ein Bühnenraum wirkt. Der Überraschungseffekt ist einigermaßen groß, denn Umgebung und Tiere passen fraglos in keiner Weise zueinander. Die Schafe blicken kurz um sich und verlassen das Bild schließlich nach rechts. Sie sind eindeutig die Hauptdarsteller in diesem Stück, die Mitarbeiter werden eher als Statisten wahrgenommen. Dabei vollziehen sowohl die Tiere als auch die Menschen dieselbe, alltägliche Handlung, indem sie einen Gang entlanggehen, nur dass dies eben für eine Gruppe Schafe durchaus keine alltägliche Handlung ist!

Anja Ciupka hat diese Arbeit für die Westdeutsche Landesbank in Düsseldorf realisiert. Das Video wurde anschließend an genau jenem Ort ausgestellt, an dem die Aufnahmen entstanden waren, dem Flur zur Kantine der Bank. Anders als im Ausstellungsraum einer Galerie oder eines Museums ist dies ein Ort, an dem das Video eher im Vorbeigehen – auf dem Weg zum Mittagessen oder zurück ins Büro – wahrgenommen wurde. Es konnte also vorkommen, dass jemand, der tagtäglich an dem Monitor vorbeiging, die Schafe niemals zu Gesicht bekam, da ihr Auftritt relativ kurz ist. Die Künstlerin hatte diesen Umstand einkalkuliert. So konnte sich per Mundpropaganda verbreiten, dass offenbar zu einem bestimmten Zeitpunkt Schafe den Arbeitsplatz bevölkert haben müssen. Ein Gerücht war in die Welt gesetzt und Raum für Zweifel und Spekulationen da: Ist das, was auf dem Video zu sehen ist, wirklich passiert, oder handelt es sich bei dem Gezeigten nur um eine Montage, eine Fiktion, einen Trick?

Während in „Überfall auf Meckis Ranch“ der Alarmmast als Beweisstück und in „The Ritz“ der Leuchtschriftzug als Ortsangabe eine materielle Verbindung zwischen der erzählten Geschichte und dem Raum des Betrachters – also eine Verbindung zwischen dem erzählten Raum und dem Erzählraum – herstellen, ist diese Verbindung in „Turnover“ dadurch gegeben, dass das Video in dem Raum präsentiert wird, an dem es entstanden ist. Dies verschränkt die Realität des Videos mit der Realität des Ausstellungsraumes und verwischt, nicht zuletzt für die Mitarbeiter der Landesbank, die Grenzen zwischen Fiktion und Realität endgültig.



In diesem Grenzbereich zwischen Fiktion und Realität bewegt sich Anja Ciupka mit Vorliebe. Um die Möglichkeiten auszuloten, die sich ihr dort bieten, nimmt sie im Grunde simple Eingriffe im Alltag vor, die subtile Verschiebungen in der Wahrnehmung nach sich ziehen. Zudem bedient sie sich souverän narrativer Formen, die auf zugrundliegende Geschichten hinzuweisen scheinen, ohne diese Erwartung schließlich einzulösen.[4]  Beides – das Verschieben vermeintlicher Gegebenheiten sowie der Einsatz vermeintlicher Erzählformen – fordert eine Bereitschaft zur Veränderung der Sichtweise und letztlich eine Veränderung der Position des Betrachters. Anja Ciupkas Arbeiten können so als Einladung verstanden werden, die Welt – und uns selbst in ihr – aus einer anderen Perspektive zu betrachten.

Ein prägnantes Bild für diese Haltung hat die Künstlerin mit ihrer Arbeit „Airstrip“ (Start- und Landebahn, 2006) gefunden. Das vierminütige Video zeigt aus verschiedenen Perspektiven eine Rampe am Rande des Daches eines ehemaligen Fabrikgebäudes. Die umliegenden Dächer sind zu sehen, der Blick auf Düsseldorf, der Himmel mit sich auftürmenden Wolken und durchscheinenden Sonnenstrahlen, aber auch der Blick direkt nach unten in den tristen Hof. Was ist das, eine Start- oder eine Landebahn, und für wen ist sie gedacht?  Sie ist breit genug, um mit einem Auto auffahren zu können, jedoch wie sollte man mit einem Auto auf das Dach gelangen können? Und wohin würde die Fahrt oder gar der Flug gehen, in den Himmel oder auf den harten Asphalt? Was sehen wir, den Ausblick oder den Abgrund? Und was wollen wir sehen, Fantastisches oder Wirklichkeit (was immer das sein mag)?

Keine Frage: bei Anja Ciupka sehen wir alles zugleich. Dies gelingt der Künstlerin, indem sie die Betrachter in das Niemandsland zwischen allen Möglichkeiten führt. Hier ist jeder auf sich gestellt. Dafür gibt es an diesem Ort weder wahre noch falsche Geschichten, und es wird wahrlich ein weiter Ausblick in alle Richtungen geboten.


[1] Vgl. Werner Wolf: Das Problem der Narrativität in Literatur, bildender Kunst und Musik: Ein Beitrag zu einer intermedialen Erzähltheorie, in: Vera und Ansgar Nünning: Erzähltheorie transgenerisch, intermedial, interdisziplinär, Trier 2002, S.23-103

[2] Wolf S.52f.

[3] Die Künstlerin weist darauf hin, Prinzessin Diana das letzte Mal vor ihrem Unfalltod im Tunnel vor dem Ritz Hotel in Paris öffentlich auftrat. Die Bilder aus Paris und London ähneln sich frappierend. Die zugrundeliegende Geschichte erhält durch diesen Verweis noch eine zusätzliche Abgründigkeit

[4] In dem bereits erwähnten Aufsatz führt Wolf für solche 'Merkmale' den Begriff der „Narreme“ ein: „Faktoren von Narrativität; Kennzeichen, inhaltliche 'Hohlformen' und 'Syntaxregeln' des Narrativen. Dementsprechend können sie eingeteilt werden in qualitative (z.B. Sinndimension, Darstellungsqualität und Erlebnisqualität), inhaltliche (z.B. Zeit, Ort, antropomorphe Wesen, Geschehen) und syntaktische Narreme (z.B. Werk- bzw. textinterne Relevanz, formale und thematische Einheitsbildung, Relevanz).“ vgl. Wolf, S. 42 (Vgl. hierzu auch B.J. Scheuermann: Erzählstrukturen in der Zeitgenössischen Kunst, Diss. Köln 2005)