Julian Opie
You get what you see

Erschienen in: Ich ist etwas Anderes. Kunst am Ende des 20. Jahrhundert, Ausst.-Kat. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Köln 2000, S. 250f.

Dino, Rosie, Matheo und Ada sind in Comicfiguren verwandelt worden. Mit Hilfe von Scanner und Graphikprogramm hat Julian Opie ihre Fotos bearbeitet und schließlich in Malerei umgesetzt. Entstanden sind ‚Portraits’, die, außer dem porträttypischen Bildausschnitt kaum noch Merkmale dessen aufweisen, was gewöhnlich als Abbildung eines Menschen bezeichnet wird: Keine Unregelmäßigkeit, kein Fältchen zerstört die Fläche des hellen Inkarnats, die Augen, die doch Ausdruck der Seele sein sollen, sind reduziert auf kleine, schwarze Punkte, die Lippen nur zwei Linien, die Naselöcher und damit die ganze Nase durch zwei Tupfer markiert.

Die Dargestellten werden von einem jeweils unterschiedlich farbigen, monochromen Grund hinterfangen, der einen starken Kontrast zum gleichsam farblosen Gesicht bildet. Bei der digitalen Bearbeitung der Bildvorlagen werden die Köpfe in Felder zerlegt. Beim anschließenden Malverfahren klebt Opie diese Felder ab und malt sie einzeln mit Farbe aus, die keinerlei Schattierungen oder einen persönlichen Pinselduktus aufweist. Die einzelönen Flächen werden mit einer schwarzen Konturenlinie umrahmt.

Flächig und buchstäblich plakativ wirken so diese Bilder und lassen darum an riesige Comics denken. In einer Zeit, in der wir durch die Werbung an gigantische Formate gewöhnt werden, in der immer kleinere Dinge immer größer dargestellt sind, erinnern Julian Opies Porträts darüber hinaus an solche Werbeplakate, wie wir sie an allen möglichen Stellen in den Städten vorfinden: an Häuserwänden, Baugerüsten und Bushaltestellen. Bezeichnenderweise hat Julian Opie die Plakate mit Porträts in London an einem Bauzaun angebracht (Die Porträts sind voraussichtlich noch bis Mitte 200 vor der Tate Gallery als ‚Outdoor Portrait Gallery’zu sehen), wo sich der Eindruck der Werbefunktion noch ein vielfaches verstärkt.

Aber wofür werden Vater, Mutter und Kinder? Kein Slogan gibt darüber Aufschluss, und so liegt die Vermutung nahe, dass tatsächlich für diese Menschen selbst geworben werden soll oder sie zumindest, wie auf einem Plakat, auf einen Blick, erfasst werden sollen. Zur raschen Erfassung von Bildinhalten werden in den Medien und überall im täglichen Leben Piktogramme benutzt, und Opie wendet ebenfalls diese Methode an, indem er Porträts auf pitkogrammähnliche Abbildungen reduziert, was sich nicht zuletzt in der Art und Weise, wie die Menschen bezeichnet werden, ausdrückt: nur mit Vornamen und Beruf.

Umso faszinierender ist der nachprüfbare Umstand, dass die Portätierten trotz aller Reduktion dessen, was allgemeinhin unter den Merkmalen einer Person verstanden wird, immer noch als ganz bestimmte Menschen wiederzuerkennen sind. „Das Selbst verschwindet bis kurz vor den Punkt, wo es ununterscheidbar zu werden droht:“ (Ronald Berg, in: Berliner Tagesspiegel, 28.8.1999, anlässlich der Ausstellung von Opies Porträts in der Galerie Barbara Thumm)

Dass es Opie gelingt, die äußeren Merkmale seiner Modelle bis zu genau diesem Punkt zu vermindern und dabei nicht nur ihre Individualität, sondern auch ihren Ausdruck bewahrt, erscheint beine wundersam und wirft unweigerlich die Frage auf, was tatsächlich die Einzigartigkeit eines Menschen ausmacht. Die Form seiner Augenbrauen kann es wohl kaum sein!

Ob es nun Gegenstände und Objekte sind, wie sie Opie schon in den frühen achtziger Jahren mit Hilfe der verschiedenen Materialien abbildete, oder Menschen, die er nur anhand ihrer stilistischen Merkmale darstellt, Opie überlässt es dem Auge des Betrachters, darin ein ‚individuelles’ Abbild zu sehen. Opies „Werk... legt nahe, dass die menschliche Vorstellungskraft beweglicher, umfassender und unvorhersehbarer ist als jede Form der Medienvermittlung“, schrieb Kenneth Baker schon 1984 (in: Julian Opie, Ausst.-Kat. Kölnischer Kunstverein, Köln 1984), und diese Feststellung trifft auch auf seine neuen Porträtats zu. Julian Opie macht es sich zunutze, dass die Betrachter seiner Werke und ihre Wahrnehmung druch denselben kulturellen und sozialen Hintergrund geprägt sind, dass sich jeder tagtäglich überall mit Symbolen, Chiffren, Abkürzungen und Piktogrammen konfrontiert sieht und gelernt hat, diese Zeichen zu lesen, Augen, Mund und nase sind hier nicht fotorealistisch wiedergegeben, aber wir sehen sie trotzdem, denn – so formulieren es Maturana und Varela – „das Subjekt (also der Betrachter) ist ... entscheidend an der Schöpfung seiner nur scheinbar objektiven Wirklichkeit beteiligt.“ (H.R. Maturana und F.J. Varela: Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens, Bern/München 1984, S.2) Oder, um es mit Julian Opie zu sagen: „You get what you see!“