Thomas Schütte: "Frauenkopf" und "Me Memorial"

veröffentlicht in: Mit Feuer und Flamme, Kat. Villa Rot, Burgrieden-Rot 2011, S. 86

Als die „kürzeste Verbindung zwischen Denken und Material“ hat Thomas Schütte einmal Ton bezeichnet, und so ist es nicht überraschend, dass der Künstler schon seit Jahrzehnten neben vielen anderen auch diesen Werkstoff verwendet. Damit gehört er sozusagen zu den Klassikern unter den zeitgenössischen mit Keramik arbeitenden Künstlern.

So ungewöhnlich wie seine vergleichsweise frühe Beschäftigung mit Ton, so bemerkenswert ist auch Schüttes Zuwendung zur figurativen Skulptur in einer Zeit, in der die plastische Kunst noch ganz von Konzept und Minimalismus geprägt war. Die 1992 für die Documenta 9 in Kassel entstandene und teilweise heute dort noch stehende Keramik-Figurengruppe „Die Fremden“ war entsprechend aufsehenerregend und der frühe Punkt auf einer Entwicklungslinie, die bis hin zu den beiden Exponaten in der Villa Rot führt. Beide hier ausgestellten Köpfe mögen auf den ersten Blick erstaunlich klassisch wirken, bei genauerer Betrachtung relativiert sich dieser Eindruck jedoch.

Seit 1997 entstehen Schüttes berühmte Frauenfiguren aus Stahl beziehungsweise Bronze oder Aluminium, für die er zahllose Keramikskizzen angefertigt hat – auch sie eigenständige, teilweise spektakulär glasierte Werke. Anders als die Skizzen entspricht der vollplastische, glasierte „Frauenkopf“ mit ausgearbeiteten Gesichtszügen und fein strukturiertem Haar den überbrachten Erwartungen an eine Skulptur. Die Frau liegt auf der Seite und hat die Augen geschlossen. Es könnte ein Bild der Ruhe sein, wäre nicht der Kopf sauber abgetrennt von einem Körper, der nicht da ist. Noch empfindlicher stören jedoch die bräunlichen Spritzer, Blasen und Rückstände auf der fein schimmernden Glasur den friedvollen Eindruck – der Frauenkopf ist beschädigt und dies anscheinend willentlich. Subtil unterläuft der Künstler hier die Makellosigkeit der von ihm gestalteten Plastik mit den spezifischen Mitteln des Mediums.

Der Titel „Me Memorial“ legt nahe, die zweite hier ausgestellte Plastik Schüttes als Selbstporträt und als Denkmal zu lesen – beides wiederkehrende Motive im Werk des Künstlers. Auch die Oberfläche dieses Kopfes weist Unebenheiten und Löcher in der Glasur auf. Irritierender jedoch ist die Art der Darstellung: es handelt sich hier nicht um einen vollplastisch ausgeführten Kopf, sondern vielmehr um eine Maske. Die geschlossenen Augen und der nach hinten überstreckte Kopf deuten darauf hin, dass der Abdruck im Liegen abgenommen wurde, ganz so wie man die Maske eines Toten abnimmt. Zu seinen Lebzeiten gestaltet der Künstler sein eigenes Denkmal in Form einer Totenmaske. „Me Memorial“ ist damit anschauliche Reflexion über Leben, Tod und Vergänglichkeit.