„John Bock’s Medusa im Tam Tam Club“, Berlin
Karlsson auf dem Busheck
16. Oktober 2006

Veröffentlicht (mit Abbildungen): http://www.artnet.de/magazine/john-bocks-medusa-im-tam-tam-club-berlin/

John Bock für infantil zu halten, ist nicht gerade die originellste Position, die man zu ihm einnehmen kann. Aber was hilft’s! Da kann er noch soviel mit pseudo-ironischen Metaphern und Diskursverhonepipelungen um sich werfen und unter den Röcken von Kleiderpuppen in nudelgefüllten Luftballons wühlen und wüten – Bock hat’s gern wild und kindlich, was ja gut und schön ist, aber muss ich ihm anderthalb Stunden dabei zuschauen wollen? Nein. Interessanterweise wird die Aktion in der Erinnerung deutlich besser und spannender – zusammenerinnert auf die besten Bilder und Szenen funktioniert das Stück eigentlich recht gut.

Im Rahmen des ART FORUM BERLIN war am 30. September ein weiteres Mal „John Bocks Medusa im Tam Tam Club“ im Magazin der Staatsoper zu sehen. Inspiriert vom Untergang der Fregatte Medusa am 2. Juli 1816 vor der Küste Afrikas soll das Stück sein. Nach dem Schiffbruch hatten sich die 150 Reisenden auf ein Floß geflüchtet, zwölf Tage später konnten nur 15 Überlebende gerettet werden – alle anderen waren Meuterei und Kannibalismus zum Opfer gefallen. Théodore Géricault schuf danach sein berühmtes Gemälde Das Floß der Medusa (1818/1819, Öl auf Leinwand, 491 x 716 cm, Musée du Louvre, Paris). Dem Pressetext ist zu entnehmen, dass John Bock „der Zustand scheinbarer Sicherheit in einem Meer von Gefahr, die zunehmende Chaotisierung und die Zersetzung dieser Sicherheit“ interessiere.

Das von Bock für die Medusa eingerichtete Magazin der Staatsoper bietet zweifellos eine großartige Kulisse für den spaßigen Nonsens, der sich um ihn als Minnesangssmutje und die Schauspieler Anne Tismer (Berliner Schaubühne am Lehniner Platz) als Muddi sowie Thomas Loibel als Käptn abspielt. In der großen, rechteckigen Halle können die Zuschauer von drei Galerien aus das Treiben im Innenraum beobachten – je nach Stockwerk von unten, beinahe auf Augenhöhe oder von oben. Der Hauptspielort ist ein Bus, der senkrecht mit der Schnauze nach unten von der Decke herabhängt. Wie eine Gallionsfigur ist eine barock gekleidete Puppe mit ausgebreiteten Armen angefügt. Die eine Schmalseite des Innenraumes wird von einer großen Projektionsleinwand abgeschlossen, die andere von der Bühne für die Musiker der Band Blackmail und die Mitglieder der Staatskapelle Berlin/Orchesterakademie bei der Staatskapelle Berlin. Fast könnte man sich fragen, warum es eigentlich nötig ist, noch eine Aktion durchzuführen, denn die riesige Installation allein ist wirklich gut! Und die Musik auch, besonders die gemeinsame Darbietung der Staatsopernsängerin Uta Priew und Blackmail.

Doch es gibt nun einmal auch das Stück. Der Großteil spielt sich zwischen einer Frau – Anne Tismer unterhält bestens als abgewrackte norddeutsche Muddi – und dem Käptn im Bus ab. Der Minnesangssmutje John Bock turnt derweil viel um den ganzen Bus herum, bisweilen mit einer propellerähnlichen Apparatur auf dem Rücken, um wie ein Astronaut an seiner Raumkapsel Reparaturen und allerlei andere Dinge vorzunehmen. Da durch diese Anordnung von den Galerien aus vieles nicht zu sehen ist, wird alles mit der Handkamera aufgenommen und auf die große Leinwand projiziert – so wechselt der Blick stets zwischen Live-Theater und Film hin und her.

Wie immer bei Bock ist fast nichts von dem zu verstehen, was die Spieler einander zubrüllen – „das Isoschizo klopft nach dem Fraß an das Molke Me Mind des Kannibalen an.“ Es ist viel vom Leib-Sein, dem Prä-Ich und der Nachgeburtsgesellschaft die Rede, eine dreckige Melkmaschine kommt zum Einsatz, um den Amorph-Euter zu leeren, es gibt Fußpuppenspiele (lustig!) und der Leiboberbau des Käptns zeigt seinem Trieboffizier mit Rohrverlegungstatendrangdrama die fruchtige Wunde – yeah baby yeah yeah.

Im letzten Teil des Stückes verlassen die Schiffbrüchigen ihren Bus. Muddi und Käptn laufen in die unterirdischen Gänge des Magazins wie Hänsel und Gretel in den finstern Wald. Ab jetzt bekommt die bislang kaum erkennbare Story tatsächlich Drive und mit dem Rennen durch Räume so etwas wie eine lineare Struktur. Verfolgen kann man sie allein auf der großen Leinwand als Film. Muddi und Käptn erleben allerlei Unheimliches, wofür John Bock die Atmosphäre der Katakomben wunderbar nutzt – es wird finster und kalt, gruselig, noch ekliger und noch hysterischer.

Sich im Publikum umschauend, blickt man großteils in bewegungslose Mienen, was angesichts des nudeligen und dudeligen Theaters doch erstaunlich ist. Sehr selten zögernde Lacher. Was passiert eigentlich – wie werden die Zuschauer angesprochen, sollen sie überhaupt in irgendeiner Weise berührt werden und wenn ja, wie? Geht es nur darum, Sinnfreies zu produzieren und das obsessiv-verspielt und albern-dysfunktional zu performen? Und wenn ja, warum eigentlich? Die ganze Aktion wirkt anachronistisch, erinnert an Dada, an das absurde Theater der 1950er, Body und Performance Art der 1960er und 1970er – und Beuys lässt auch schön grüßen, ohne dass aus all dem etwas erkennbar Neues entstünde. Wie der Käptn schon ganz am Anfang sagt: „So’n Schietkram an der Ackerfront. Wir klitschen ab.“