Christoph Schellberg in der Galerie Jablonka Lühn, Köln
Alles und das Nichts

erschienen am 21. Dezember 2005 auf artnet.de:  artnet.de/magazine/christoph-schellberg-in-der-galerie-jablonka-luhn-koln


Augen, Gesichter, Totenköpfe, Muschis, Blumen – Christoph Schellbergs neue Bilder enthalten dies alles und noch viel mehr. Strahlen, Löcher, Landschaften und gar (neue?) Galaxien. Es ist, als habe der Künstler – geboren 1973 in Düsseldorf, wo er auch lebt und arbeitet – sich dafür entschieden, endlich wieder einmal zu spielen, zu assoziieren und zu kritzeln, nachdem er sich in den letzten Jahren mit seinen Porträts nach eigens gemachten Fotografien von Künstlerkollegen wie Jeff Koons, Alex Katz, Jürgen Teller oder Thomas Schütte so konsequent mit der kunstimmanenten Problemstellung der figurativen Gestaltung beschäftigt hat. Den Zwischenschritt zwischen diesen Porträts – die im übrigen nach wie vor entstehen – und den bei der Kölner Galerie Jablonka Lühn in der aktuellen Ausstellung Cosmos White Sensation gezeigten Zeichnungen mit Buntstift, Kugelschreiber und Öl auf in Kaffee getränktem Papier bilden die „Fleurs du Mal“, die im Sommer im neuen Aachener Kunstverein zu sehen waren.

Schon dort experimentierte Schellberg mit kleinen Köpfen und Geschlechtsteilen, die sich auswachsen zu üppigen Blumenblüten, umschwirrt von Augen und Strahlen. Ironisch und verspielt ergeben diese Bilder das Vokabular, das dem Künstler als Grundlage seiner Blumenmalereien dient, die er – in großer Nähe zu der erwähnten Porträtserie – als individuelle Blumenporträts inszeniert. Alles hängt mit allem zusammen, jedes Bild ist Grundlage und Ergebnis der anderen Werke. Dies lässt sich nicht nur auf die Arbeiten innerhalb von Schellbergs Werk beziehen, denn sowohl der eher traditionell orientierte Kunsthistoriker als auch der Freund aktueller Kunst wird reich mit Referenzen aller Art bedacht: Vanitas-Symbolik, Landschaftsmalerei, George Condo, Art Brut, Andy Warhol, Zyklopen, orientalische Mythen, psychedelische Platten-Cover der 1970er Jahre – alles mögliche ist zu entdecken in Schellbergs neuen Werken und Vieles nur schwer. Nichts jedenfalls, das sich in seiner Bedeutung festlegen ließe.

Den Bildern ist die Freude am Schaffen, am Spontanen, am Spielerischen anzusehen – sie erinnern nicht zuletzt an Auswüchse von durch Langeweile stimulierten Schülerfantasien. Diesen Eindruck vermitteln besonders die großen Landschaften, die zwischen dramatisch bestrahlten Mondlandschaften und „Licht-am-Ende-des-Tunnels“-Visionen changieren und deren mehrteiliges, von der Farbe gewelltes Papier wie nebenbei an die Wand gepinnt scheint. Die Ränder der verschiedenen Blätter liegen nur lückenhaft aneinander, die Ecken sind teilweise mit der Schere ausgefranst und bilden strahlenförmige Durchblicke auf die Wand hinter dem Bild.

Totenschädel spielen eine große Rolle und tauchen in den meisten Bildern auf, ohne jedoch als Zeichen oder Symbol für irgendetwas greifbar zu sein. Die Herstellung kunsthistorischer Bezüge ist zulässig und wohl mitbedacht, führt aber im konkreten Falle zu nichts. Alles bleibt offen, schwirrend, ein bisschen albern, wenn kleine, bunte Arschlöcher auf Blumen schimmern und 90 Muschis pink-violett aus der Nachtschwärze der Bildfläche hervorleuchten.

Der Künstler spielt. Er kaspert herum und probiert aus, testet dabei mit ernsthaftem Interesse Motive und Formen auf ihren Nutzen und ihre Wirkung, kombiniert Abstraktes mit Figurativem, Geometrisches mit Organischem, Gekritzeltes mit sorgfältig Gemaltem, Persönliches mit kollektiv Erinnerbarem. Ratlos bleiben wir zurück, wenn wir ein Konzept suchen oder so etwas wie ein erkennbares Ziel. Erfrischend wirkt das Ganze dagegen, wenn wir bereit sind, mit 117 Augen in 135 kleinen Gesichtern mindestens 54 Galaxien zu entdecken. Das Preisspektrum liegt zwischen 2.500,- Euro für die kleineren und 7.000,- Euro für die größeren Arbeiten, mehr als die Hälfte ist bereits verkauft.
Cosmos White Sensation ist die letzte Ausstellung, die von Jablonka Lühn ausgerichtet wird. Nach viereinhalb Jahren der Zusammenarbeit mit der Jablonka Galerie macht sich Linn Lühn selbständig: Pünktlich zu den Premieren im Frühjahr will Lühn mit einem eigenen Programm starten, das sich offensichtlich nicht mehr nur auf die ganz junge Kunst beschränken wird. Wo genau sie ihre eigene Galerie eröffnen wird, möchte Lühn zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekanntgeben, jedoch ist anzunehmen, dass sich auch die neuen Räume im Umkreis des Belgischen Viertels in Köln befinden werden.

Noch bis zum 6. Januar 2006 bei Jablonka Lühn, Lindenstr. 19, 50674 Köln.