Olafur Eliasson
Sonne statt Regen
erschienen 2008 im EON-Magazin
Kühl wabernder Nebel, farbenfrohe Regenbögen, dramatische Sonnenuntergänge – mit seinen spektakulären Installationen verwandelt der dänische Künstler Olafur Eliasson Kunstausstellungen in Expermentierfelder, in denen der Museumsbesuch zur neuen Erfahrung wird. Dabei dienen dem in Berlin lebenden, international renommierten Künstler Naturphänomene als Ausgangspunkt, die er - oft mit einfachsten technischen Mitteln - in den Ausstellungsraum überträgt. Daraus entstehen Erlebnisräume, die die Menschen gleichermaßen faszinieren und begeistern.
„Grundsätzlich weiß ich über vieles nichts“, bekennt Olafur Eliasson freimütig, „deshalb habe ich engen Kontakt mit Fachleuten aus verschiedenen Bereichen wie Architekten, Ingenieuren, Handwerkern, Bautechnikern und Wissenschaftlern wie Mathematikern. Ich glaube, dass ich viel mehr erreichen kann, wenn ich andere Leute einbeziehe. Ich habe akzeptiert, dass ich noch viel zu lernen habe.“
Diese uneitle Selbsteinschätzung ist typisch für den 1967 in Kopenhagen geborenen Künstler, der seit einigen Jahren in Berlin lebt. Dort betreibt er in großem Stil ein Studio, das der allgemeinen romantischen Vorstellung eines Ateliers als Rückzugsort des Künstlers kaum noch entspricht. In Eliassons Studio in Berlin-Prenzlauer Berg wird mit Hilfe von zahlreichen Mitarbeitern, Spezialisten und Kooperationspartnern ausprobiert, experimentiert und erforscht. Das Studio wird als Labor verstanden, als Werkstatt und interdisziplinärer Raum, als Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft.
„Ich habe keine wissenschaftlichen Intentionen mit meinen Projekten“, betont der Künstler allerdings, „und glaube auch nicht, dass ich wissenschaftliche Intentionen vermitteln muss. Wie in der Pop Art klaue ich direkt Naturphänomene und wissenschaftliche Darstellungen.“ Und so wie Andy Warhol Campbells Suppendosen für seine Bilder 'klaute', so eignete sich Eliasson für eine seiner aufsehenerregendsten Arbeiten gleich die ganze Sonne an: In „The Weather Project“, 2003, für die Tate Modern in London entstanden, verwandelte er das Herzstück des ehemaligen Kraftwerks, die gigantische Turbinenhalle, mit Hilfe von Spiegeln, Lampen und Windmaschinen in eine eigene Klimazone, die von einer riesigen Sonne beschienen wurde. Technisch schlichter kann man sich eine künstliche Sonne kaum denken: ein Halbkreis aus eng gesteckten Monofrequenz-Birnen, der von einem an der Decke befindlichen Spiegel zum Halbkreis reflektiert wurde. Nebel schwebte durch die Halle, und ab und an wehte gar ein leichter Wind. Trotz der offengelegten technischen Hilfsmittel – Kabel und elektrische Geräte waren überall sichtbar – erlagen die Besucher in Scharen dem künstlichen Sonnenglanz: mitunter für Stunden verharrten sie auf dem Betonboden der Turbinenhalle und genossen das von dem Künstler erschaffenen Klima – und womöglich auch ihr eigenes Abbild im Spiegel an der Decke. Mit diesem spektakulären Projekt machte Eliasson nicht nur einen Kommentar auf die sprichwörtliche Angewohnheit der Briten, jedes Gespräch mit einer Bemerkung über das Wetter einzuleiten. Er schuf damit auch einen Erlebnisraum, der zum einen den Blick auf das Museum als Institution mit seinen sehr speziellen Aufgaben und Denkweisen richtet und zum anderen Olafur Eliassons Auffassung von Natur als „Kulturphänomen“ Ausdruck verleiht. „Grundsätzlich glaube ich nicht, dass man Natur rekonstruieren kann. Mein Interesse an dem, was man in unserer Gesellschaft unter Natur versteht, ist gering. Ich habe nicht die große Idee von Natur als Natur“.
Diese Aussage mag verwundern bei einem Künstler, der so konsequent mit Phänomenen aus der Natur arbeitet, der fotografische Serien von isländischen Landschaften macht, der 2003 für „Sonne statt Regen“ den Kunstbau in München in Regenbogenfarben getaucht und im Jahr zuvor den Boden des Museé d´Art Moderne de la Ville de Paris mit Lava bedeckt hat. Aber Olafur Eliasson interessiert sich seit jeher besonders „für das Verhältnis zwischen dem Individuum, dem Besucher und der umgebenden Situation“. Um dieses Verhältnis erforschen zu können, hat sich der Künstler Naturphänomenen zugewendet, aber auch wissenschaftlichen Versuchen und Systemen. „Ich untersuche die Verhältnisse zwischen Subjekt und Objekt oder die Konstruktion und die Idee von Subjekt und Objekt.“ Mit der Entwicklung von Innenräumen, die Phänomene und Zeichen der Außenwelt wie das Wetter aufnehmen, gelingt es Eliasson eine räumliche Situation zu schaffen, in der sich der Betrachter sofort ins Verhältnis gesetzt fühlt zu einer gegebenen Situation. Er muss sofort darauf reagieren und kann sich der Erfahrung nicht mehr entziehen.
Mit seiner anhaltenden Auseinandersetzung mit Licht – auch unabhängig von direkten Referenzen an klimatische Phänomene - reiht sich der Künstler in eine lange Tradition von Künstlern seit dem frühen 20. Jahrhundert ein, von Laszlo Moholy-Nagy, über Lucio Fontana,die Zero-Gruppe bis hin zu James Turrell und Douglas Wheeler, und bleibt dabei doch stets Kind seiner Zeit. Sein neuestes Projekt wurde im Juni 2008 von New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg auf der Brooklyn Bridge eröffnet: von rund 40 Metern hohen Baugerüsten stürzen vier Wasserfälle in den East River. Mit diesem Großprojekt will Olafur Eliasson nicht nur auf Fragen zu Umweltproblemen und Stadtplanung lenken, sondern feiert zugleich Wasser als kraftvolles Element, dessen allgemeine Verfügbarkeit eine wesentliche Voraussetzung für den Erhalt der Menschheit ist.