Markus Karstieß: "Spiegel" und "Iris Revolving"

veröffentlicht in: Mit Feuer und Flamme, Kat. Villa Rot, Burgrieden-Rot 2011, S. 50

Für seine neuen „Spiegel“ greift der Künstler Markus Karstieß auf das so genannte Raku zurück, eine im 16. Jahrhundert in Japan entwickelte Brenntechnik. Anders als beim herkömmlichen Verfahren, bei dem das Objekt im Ofen langsam abkühlt, werden hierbei die noch rotglühenden Formen bei Temperaturen um 1000°C aus dem Ofen genommen und in Wasser Sturz gekühlt oder zuvor, in einer modernen Weiterentwicklung der Technik, in einem Behälter mit organischem Brennstoff (Laub, Stroh, Heu etc.) luftdicht eingeschlossen. Damit sie bei diesem Wechsel vom Ofen zum Behälter nicht zuviel Hitze verliert, ist Raku-Keramik, oft relativ dickwandig. So auch Karstieß’ „Spiegel“, die sich zudem durch starke Krakelees und metallischen Glanz auszeichnen – beides charakteristisch für die Raku-Technik und zurückzuführen auf den plötzlichen Sauerstoffentzug und die im organischen Brennstoff enthaltenen Mineralien. Das Krakelee entsteht durch das Reißen der Glasuroberfläche beim Abkühlen. Kohlenstoff dringt in die Risse ein und lagert sich darin wie auch an allen unglasierten Stellen schwarz ab. Zudem verändert sich die chemische Zusammensetzung der Glasur: beispielsweise wird aus Kupferoxid (grün) Kupfer (rot). Bedeutet der Brennvorgang bei jeglichem Arbeiten mit Keramik grundsätzlich eine gewisse Unkalkulierbarkeit, so ist das Risiko beim Raku noch um ein vielfaches höher, da hier die Spannung beziehungsweise ihre Überschreitung als gestaltendes Element wesentlicher Bestandteil des Vorgangs ist.

trahlenförmig durchschnitten, metallisch glänzend, mit komplexen Farbschichten versehen, zum Teil stark krakeliert, mitunter gebrochen scheinen die „Spiegel“ gleichzeitig Licht zu reflektieren und zu absorbieren. Je nach Standpunkt im Raum schimmern sie in unterschiedlichen Farben, sie entziehen sich damit einer genauen Beschreibung, so wie sich Spiegel und Spiegelbild naturgemäß jeglicher Festlegung entziehen. Es ist nicht eindeutig, ob die Linien als Strahlen vom jeweiligen Mittelpunkt wegführen oder umgekehrt zu ihm hindeuten oder lediglich als geometrische Strukturierung dienen. Nimmt man die Bezeichnung „Spiegel“ wörtlich, so sieht der Betrachter – notwendigerweise der Mittelpunkt seiner eigenen Welt – sich einem abstrakt dargestellten Zentrum gegenüber, durchaus lesbar als Reflexion im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Dieses Spiegelbild jedoch erscheint zersprungen beziehungsweise neu zusammengesetzt.

Karstieß untersucht in seinen Arbeiten die Übergänge zwischen dem Ungeformten und dem Geformten. Dabei ist auch die Gegenüberstellung verschiedener Skulpturen innerhalb eines bestimmten Raums von besonderer Bedeutung. In der Villa Rot hat der Künstler in der Mitte des Raumes „Iris revolving“ (2007) installiert, eine frei hängende Arbeit, die weit in den Raum ausgreift – so wie die „Spiegel“ von einem eindeutig zu bestimmenden Punkt ausgehend: dem Ende des von der Decke hängenden Stahlrohrs, an dem die drei mit Keramik umhüllten Rohre zusammenlaufen und ein fragiles Gleichgewicht bilden. Die silbern schimmernden Formen sind offensichtlich von Hand gemacht, die Handabdrücke des Künstler sind an manchen Stellen deutlich zu erkennen. Damit stehen sie im Kontrast zu der industriellen Strenge der Rohre. „Iris revolving“ – das sich drehende Auge – beherrscht den Raum , lenkt dabei aber den Blick von seinem eigenen Mittelpunkt durch die Fenster des Ausstellungsraumes hinaus auf die davor liegende Landschaft.