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Yury Kharchenko – Zwischen zwei Welten

erschienen 2007 in: Yury Kharchenko, Galerie Otto Schweins, Köln 2007, online: yury-kharchenko.com

Bildwelten – dieser häufig in Texten über Malerei gebrauchte Begriff scheint für die Beschreibung von Yury Kharchenkos Bildern in besonderem Maße geeignet zu sein. Wenn sich der Betrachter auf die besonderen Lichtverhältnisse in den Gemälden eingestellt hat – als müssten sich seine Augen erst an die Dunkelheit gewöhnen – , dann bekommt er Einblicke in eine ganz eigene Welt, voller Rätsel und Gestalten, die seltsam bekannt wirken und dennoch fremd. „Zwischen zwei Welten sein“ ist auch der Titel Yury Kharchenkos Serie von kleinformatigen Ölbildern auf Malplatte. Er gibt damit einen Hinweis auf das Zwischenreich der Träume und des mitunter rauschhaften Zustandes zwischen Wachsein und Schlaf.

Die oft gedämpften, manchmal auch düsteren Farben in diesen „Verlaufsbildern“ werden getupft, getröpfelt, gepinselt und geschüttet. Leicht und gleichzeitig komplex wirken die Gemälde, bisweilen beinahe wie spielerische Etüden.Yury Kharchenko möchte die Reihe als ein Kammermusikkonzert verstanden wissen. „Geist“ ist dabei ein für ihn zentraler Begriff, der auf eine andere Ebene der Wahrnehmung verweist und die Transzendenz dessen, was in den Bildern visüll erfahrbar ist, nahelegt.

Wie genau der Künstler dabei technisch vorgeht, möchte er nicht preisgeben. Anders als manch anderer Maler ist Kharchenko nicht daran interessiert, seine Techniken zu offenbaren. Der eigentliche Malvorgang bleibt somit geheim und erhält dadurch den Charakter eines alchemistischen Prozesses, für den der Künstler gleichsam als Wissenschaftler und Magier verantwortlich zeichnet. In jeder seiner malerischen Gesten wird spürbar, das Kharchenko sich intensiv mit Maltechniken auseinandersetzt und sie präzise verwendet. Dennoch ist es nicht sein Bestreben, den eigentlichen Prozess des Malens in den Vordergrund zu rücken. Vielmehr geht es ihm um ein Ausbalancieren der Bedeutung von Malerei und Gemalten, ähnlich dem Geschichtenerzähler, dem das, was er erzählt, ebenso wichtig ist, wie die Art und Weise, wie er es erzählt. In einer guten Geschichte wie in einem guten Bild verschmelzen diese zwei Ebenen zu einer einzigen, die die Unterscheidung zwischen beiden vergessen lässt. Und wie sich manchmal erst beim Erzählen einer Geschichte die besten und gewagtesten Wendungen ergeben, so erstehen Yury Kharchenkos geheimnisvolle Figuren und ihre Geschichten oft erst beim Malen aus den verschiedenen Farbschichten.

Die Palette ist breit, umfasst jedoch in besonderem Maße gedämpfte und gebrochene Farben: Zinnober, Petrol, blassgoldenes Gelb, Blauschwarz, Rostrot, wässriges Blau, Dunkelgrau und Violett. Die aufgetragenen Farben verbinden sich zu mehreren Lagen. Sie sind es, die den Eindruck räumlicher Situationen vermitteln. Gleichsam zwischen ihnen bilden sich teilweise ver- und enthüllte Architekturen, deren genaue Bestimmung und Funktion unklar bleibt. Erst diese Räume sind es, die den Ort für eine mögliche Handlung bieten. Aus ihnen hervor treten – mal mehr, mal weniger offensichtlich – Figuren und geisterhafte Wesen, oft umfangen von fenster- oder türartigen Rahmungen, welche zum einen den Bildaufbau strukturieren und zum anderen den narrativen Zusammenhang organisieren. Innerhalb dieser Sektoren ergeben sich bisweilen Öffnungen in den Bildmittelgrund oder -hintergrund. Auf manchen Bildern bleibt der Malträger – Malplatte oder Leinwand – stellenweise gänzlich unbehandelt und fungiert so als Leerstelle. Auf den Leinwandbildern erscheinen diese Flecken als reinweiß und überraschen in der ansonsten gedämpften und zurückgenommenen Farbigkeit. Sie erlangen eine eminente Präsenz, ohne dass sie jedoch das Versprechen ihrer Transparenz und Leuchtkraft einlösen würden – so bedeuten sie einen Bruch, sowohl der Komposition als auch des narrativen Zusammenhangs und bieten ihrer Offenheit zum Trotz keinerlei Aufschluss über das Bildgeschehen oder einen Ausgang aus dem Bild.

In diesen unbestimmbaren Bildräumen aus angedeuteten Architekturen sind hinter oder vor Fenstern und Türen Gestalten zu sehen, die trotz der oftmals Narrativität suggerierenden Komposition selten miteinander in Kontakt treten. Sie scheinen vielmehr, eingerahmt in den ihnen zugeordneten Bildausschnitt, zu verharren, als Protagonisten in fantastisch anmutenden Dramen, deren Fortgang ungewiss ist. In der komplexen Malfläche des Bildes wirken sie wie eingeschlossen. Die Rahmungen und auch die unterschiedlichen farbigen Überlagerungen übernehmen hier neben der narrativen Organisation und der malerischen Komposition überdies die Aufgabe, den Betrachter auf Distanz zu halten. Trotz ihrer suggestigen Farbigkeit und Transparenz wirken die Bilder hermetisch. Sie evozieren somit eine nicht zu stillende Sehnsucht nach dieser anderen ‚Welt’, die, im Bildraum eingeschlossen, deutlich erkennbar für das ‚Andere’ per se steht.

Auf vielen Bildern fällt ein horizontaler Streifen im unteren Bildviertel auf. Die Idee, in ihm eine Bühne zu sehen, scheint naheliegend, besonders in einer Zeit, in der sich auffällig viele bildende Künstler mit den Motiven und Gesten des Theaters auseinandersetzen. Kharchenko selbst jedoch begreift diesen Streifen als rein funktionales kompositorisches Mittel. In ihm manifestiert sich die – in mehrfachen Wortsinne – Vielschichtigkeit seiner Malerei. Der Streifen kann als die Grenze gedeutet werden, auf der sich die Malerei und die Geschichte treffen, Abstraktion und Gegenständlichkeit ineinander überblenden – auch jedoch als Grenze oder vielleicht eher: Barriere zwischen Betrachter und Bildgeschehen.

Die Figuren in Kharchenkos Bildern wirken mitunter fantastisch bis zur Groteske. Diese Groteske ist notwendig, um die Schönheit der Malerei zu unterlaufen, denn „wenn etwas zu schön ist, dann wird es monoton“ (Yury Kharchenko). Gespenstische Dramen scheinen sich hier zu entwickeln, in deren Mittelpunkt Helden stehen, deren Zugehörigkeit zur menschlichen Rasse bisweilen angezweifelt werden darf. Düster verhüllte Gestalten, Gespenster und Untote, Verkohlte und Abgemagerte, Verrenkte und Gelängte, aber auch beinah komisch wirkende anthropomorphe Formen sowie nicht näher zu bestimmende tierähnliche Wesen bevölkern die Bilder. Manchmal sind sie bis hin zur beinahe völligen Abstraktion aufgelöst. Dazwischen finden sich immer wieder auch Gegenstände, die aus dem Repertoire des klassischen Stilleben entnommen scheinen, wie Obstschalen, Apfelsinen und Trinkgefässe, die als Reminszenzen an Cezanne gelesen werden könnten. Ebenso vertraut wirkt manche Gestalt – eine hat große Ähnlichkeit mit traditionellen Christus-Darstellungen, in einem Bild scheint Edvard Munchs „Schrei“ die Referenz zu sein, und es gibt Köpfe – oder auch nur Tupfer –, die an Alexej von Jawlenskys Portraits erinnern.

Angesichts des beinahe noch Jugend zu nennenden Alters des Malers Yury Kharchenko seien solche kunsthistorischen Bezugspunkte mit aller Vorsicht gegeben – keinesfalls soll einer vorschnellen Festlegung Vorschub geleistet werden. Gefahrlos ist indes festzustellen, dass Yury Kharchenko sich voller Respekt – jedoch furchtlos! – mit der Malertradition, besonders seit dem 19. Jahrhundert, auseinandersetzt.

Komplizierter wird das Bezugssystem in den Bildern der Reihe „Hommage à Wrubel“, die zum einen dem russischen Symbolisten und als Wegbereiter der russischen Modern anerkannten Maler Michail Alexandrowitsch Wrubel (1856 – 1910) gewidmet sind und zum anderen den Titel mit einem frühen Gemälde von Georg Baselitz teilt, dessen „Hommage à Wrubel – Michail Wrubel – 1911“ im Jahre 1963 entstand und das düstere Bild des exponierten, verletzlichen Künstlers darstellt. Wesentlich scheint für die Rezeption und nähere Betrachtung dieser Reihe, dass Kharchenko sie nicht mit der Intention einer Wrubel-Hommage malte, sondern erst eine geraume Zeit nach Abschluss des ersten Bildes „Tag“ die Ähnlichkeit mit dem Wrubel-Bild „Flieder“ von 1890, erkannte und darin eine – unbewusste – Verarbeitung der künstlerischen Einflüsse seines Herkunftslandes Russland, in dem er die ersten neun Jahre seines Lebens verbrachte.

Die Bilder der letztgenannten Reihe, die zum Zeitpunkt, zu dem dieser Text entsteht, noch nicht abgeschlossen ist, unterscheiden sich in Thema, Malweise und Format signifikant von der bisher sehr viel größeren Gruppe der Verlaufsbilder. Dasselbe gilt für die großformatigen Bilder der „Explosionen“, in denen der Künstler sehr viel expressiver, mit größerer Geste und hellerer Palette arbeitet und zudem mit Collage- und Assemblagetechniken experimentiert.

Beide Werkgruppen markieren jeweils den Ausgangspunkt für einen Weg, den Yury Kharchenko erst noch erkunden und prüfen muss. Welchen Platz sie einmal in seinem Gesamtwerk einnehmen werden, ist noch nicht abzusehen. Schon jetzt aber ist an ihnen zu erkennen, dass Yury Kharchenko aus tiefster Überzeugung und mit konzentrierter Beharrlichkeit bestrebt ist, die Synthese zu finden aus einer Malerei, die sich einerseits entschieden aus einer klassischen Tradition entwickelt, und einer Malerei, die andererseits im Bewusstsein des zeitgenössischen Kontextes mit Blick auf auf aktuelle und zukünftige Entwicklungen entsteht.


Yury Kharchenko – Between two worlds

published 2007 in: Yury Kharchenko, Galerie Otto Schweins, Köln 2007, online: yury-kharchenko.com

Visual worlds – this frequently used term seems to be particularly appropriate for describing Yury Kharchenko’s images. Once the viewer has adjusted him to the painting’s special lighting conditions, in the same way he might adjust his eyes to darkness for the first time – then he is given an insight into another world, full of puzzles and forms, which appear strangely familiar and yet foreign.
„To be Between Two Worlds“ is also the title of Yury Kharchenko’s series of small-format oil board paintings. In these works, he hints at the inbetween state of dreams and the sometimes frenzied state between consciousness and sleep.

The frequently muted and sometimes murky colours in these “Verlaufsbilder” („Sequential/Processual pictures“) are dabbed, dribbled, washed, and poured. The paintings are simple yet complex, and almost playful exercises. Yury Kharchenko would like the series to be understood like a chamber music concert. „Spirit“ is a central concept for Kharchenko, referring to another level of perception and the suggestion of its transcendence, which is evident in the images.

The artist does not want to divulge the exact way in which he works. Unlike some other painters, Kharchenko isn’t interested in revealing his techniques. His actual painting process thus remains a secret, and assumes an alchemistic character, which the artist is responsible for, as scientist and magician, as it were.
Every painterly gesture made by Kharchenko shows that the artist engages intensively with painting techniques, employing them precisely. It is not his aim, however, to push the actual process of painting into the foreground. It is rather about balancing the meaning of painting and painted, like the storyteller, for whom the story is as important as the way in which he tells it. In a good story, as in a good picture, these two levels blend together into one, so that one forgets to differentiate between them. In the same way that sometimes the best and most daring twists and turns first emerge when a story is told, Yury Kharchenko’s secretive figures and their stories often first appear during the process of applying the different layers of colour.

The palette is broad, but contains particularly muted and broken colours: vermillion, petrol, pale golden yellow, blue-black, rust red, watery blue, dark grey, and violet. The colours are linked to many coats. They are what creates the impression of spatial situations in the paintings. There is a hidden and exposed architecture between these colours, the precise purpose and function of which, remains unclear. It is these spaces which offer a place for a possible plot. Figures and ghostly beings emerge from them, some more prominent than others, often surrounded by window-and doorlike framing, which both structures the picture’s composition and organise the narrative context. Sometimes, within these sectors, there are openings in the middle or background of the image. In some images, the parts of the surface carrying the paint – the board or canvas - remain completely untreated, and thus function as a blank space.
In the canvas paintings, these marks appear pure white and seem surprising, when viewed amongst the otherwise subdued and undone colours. They attain an eminent presence, without however, fulfilling the promise of their transparence and luminousity. They are therefore an interruption within both the composition and the narrative context, and despite their openness, offer neither insight into what is taking place in the picture, nor an exit from it.
Visible in these nondescript spaces, between this „architecture“, there are forms, infront of, or behind doors, which rarely come into contact with one another, despite the fact that the compositions often suggest a narrative. They seem to remain framed within their own designated parts of the picture, protagonists in phantasmagorical dramas with unknown outcomes. Within the complex painted surfaces of the image, they appear closed in.
Alongside the narrative organisation and the painterly composition, the framing and different coloured overlays also serve to keep the viewer at a distance. Despite their suggestive colourfulness and transparency, the images appear hermetic, and as such, evoke an unquiet longing for this other ‚world’, which is locked within the picture space clearly representing the ‚Other.’

In many of the images, horizontal stripes appear in the lower quarter of the picture. The idea that these represent a stage within the space, seems to be particularly apt at a time when a strikingly large number of visual artists are engaging with the motifs and gestures of theatre. Kharchenko however, uses this stripe purely as a functional compositional means. The stripe represents the complexity - in every sense of the word - of his painting. It can be interpreted as a border, where painting and history meet, and abstraction and objectivity blend into one another, or perhaps also as a border, or rather: a barrier between the viewer and the picture narrative.

The figures in Kharchenko’s pictures sometimes appear fantastical to the point of grotesqueness. This grotesqueness is necessary to undermine the beauty of the painting, because „if something is too beautiful, then it becomes monotonous“ (Yury Kharchenko). Ghostly dramas appear to develop within them, with heroes at their centre, whose membership of the human race could sometimes regarded as questionable. The images are populated by darkly clad shapes, spectres and the undead, the charred and emaciated, the dislocated and overstretched, but also by strange anthropomorphic forms, as well other equally unidentifiable, animal-like creatures. Sometimes they are dissolved to the point of total abstraction. Pictured in-between these are often objects which appear to come from a classic still-life repertoire - fruit peel, oranges, and drinking vessels, which can be read as references to Cezanne. Some of the forms also appear equally familiar. One closely resembles a traditional representation of Christ, and another image seems to reference „The Scream“ by Edvard Munch, and there are also heads - or dabs –which evoke Alexej von Jawlensky’s portraits.

Meanwhile, it is safe to say that Yury Kharchenko completely respectfully, yet fearlessly engages with the tradition of painting, particularly from the 19th century onwards. He not only gives clear indications of the extent of his craft in his images, but also in conversation. He lists Picasso, Monet and the Surrealists as influences – the word ‚Example’ should be avoided here. Kharchenko also appears to be closely linked to recent art history, and regards some of his pictures as „transavantgarde,“ which can be easily understood as meaning that he and the Italian „Transavantguardia“ of the 1970s, are unified in their interest in symbolic coding, mythical figures and sages, as well as a deliberate poetic visual language.

More complicated however, is the frame of reference for the series of images „Hommage à Wrubel“, which is partly dedicated to the Russian Symbolist and acknowledged trailblazer of Russian Modernism, the painter Michail Alexandrovich Wrubel (1856 – 1910). The work also shares its title with one of Georg Baselitz’s early works, „Hommage à Wrubel – Michail Wrubel – 1911“ from 1963, a gloomy image of the exposed and vulnerable artist. For the reception and closer inspection of this series, it is important to know that Kharchenko did not paint it as a homage to Wrubel. It was actually some time after completing the first image „Tag,“ that Kharchenko became aware of its similarity to Wrubel’s work - „Flieder“ from 1840, and within it, an (unconscious) processing of the artistic influences from his homeland Russia, where he spent the first nine years of his life.

The images in the aforementioned series, which at the time of writing, remained unfinished, have significantly different themes, and incorporate painting techniques and formats to the (until now) much larger groups of “Verlaufsbilder”. This also applies to the large-format images of „Explosions,“ on which the artist has worked in a much more expressive way, using larger gestures, and a lighter palette, as well as experimenting with assemblage techniques.

Both groups of works represent a starting point on a path, which Yury Kharchenko must first test and explore. It is not yet clear what place they will take in his oeuvre. It is clear from these works, however, that Yury Kharchenko is determined, with deep conviction and concentrated perseverance, to find the synthesis from a kind of painting which has purposefully developed from a classical tradition, but which also arises in the consciousness of the contemporary context, with an eye on current and future developments.

Translation: Maisie Hitchcock