Georg Baselitz als erster deutscher Maler in der Royal Academy in London

Erinnerung besiegt Gegenwart

Erstmals veröffentlicht in: Kölner Stadtanzeiger, 20.09.07, URL: http://www.ksta.de/html/artikel/1190059921923.shtml

„Ich bin ein Deutscher, und ich werde immer ein Deutscher bleiben - es ist ein Elend“, sagt Georg Baselitz. Und obwohl er es mit einem Augenzwinkern sagt, ist doch zu spüren, dass der 1938 als Hans-Georg Kern in Deutschbaselitz geborene Künstler es ganz ernst meint damit. Immer wieder hat er in seiner inzwischen langen Malerkarriere darauf hingewiesen, dass die deutsche Geschichte und sein eigenes Deutschsein von zentraler Bedeutung für seine künstlerische Arbeit seien. Und so betont er es auch bei seinem gutgelaunten Auftritt vor der Presse anlässlich der Eröffnung der großen Retrospektive in der Londoner Royal Academy, die ihm dort von Chefkurator Sir Norman Rosenthal ausgerichtet wird. Baselitz ist der erste deutsche Künstler und erst der vierte lebende Künstler überhaupt, dem diese Ehre zuteil wird.

Umso interessanter, dass man hierfür ausgerechnet einen Künstler gewählt hat, der achselzuckend sagt: „Mich interessiert die deutsche Geschichte. Die französische oder die englische interessieren mich nicht.“ Die Ausstellung in der Royal Academy umfasst über 60 Gemälde, zudem zahlreiche Zeichnungen, Drucke und einige der massiven Holzskulpturen, darunter auch als Leihgabe aus dem Kölner Museum Ludwig das „Modell für eine Skulptur“ (1979 / 80), dessen einziger, rechter Arm in provozierender Weise an den Hitlergruß erinnert. Solcherart in Empfang genommen werden die Besucher durch die Ausstellung zum Rundgang geleitet. Bevor man diesen jedoch beginnt, lohnt sich ein Blick in beide Richtungen - nach rechts durch die Raumflucht des ersten Teils hindurch und nach links durch den letzten Raum: von beiden Enden beäugen den Besucher die gespensterhaften Köpfe des Gemäldes „Oberon“, einmal in der Version von 1963 / 4, einmal als „Remix“ von 2005. Dies ist ein schöner Einfall, der als visuelle Klammer um das Werk des Künstlers und die chronologisch angelegte Ausstellung fungiert.

Die ersten Räume der Ausstellung wirken fast bedrückend - man sollte es sich nicht nehmen lassen, nach dem Ende des Rundgangs, also nach der Betrachtung der neuesten Werke aus den letzten Jahren, noch einmal den ersten Raum zu betreten, um die wirklich extremen Unterschiede der Stimmung erleben zu können, die die fast fünfzig Jahre umfassende künstlerische Entwicklung von Georg Baselitz ganz direkt erfahrbar werden lässt. Düster und schmutzig sind die Farben, die Baselitz in seinen frühen Bildern benutzt, die Motive oft gewalttätig, die Betrachtung kann mitunter fast zur schmerzlichen Empfindung werden. Natürlich fehlt nicht „Die große Nacht im Eimer“ (1962 / 63), die, fünf Jahre, nachdem Baselitz Ostdeutschland Richtung West-Berlin verlassen hatte, in der Berliner Galerie Werner und Katz für Skandal, Beschlagnahmung durch die Staatsanwaltschaft, Presserummel und schließlich für die Bekanntheit des jungen Künstlers sorgte.

Seither ist Baselitz eine feste Größe in der Kunst Nachkriegsdeutschlands. In den Augen der britischen Kritiker, die sich bislang anerkennend zur aktuellen Ausstellung in der Royal Academy äußern, teilt Baselitz seine wichtige Rolle für die Kunst der letzten Jahrzehnte mit Anselm Kiefer. Es ist aufschlussreich, dass damit zwei Künstler genannt sind, die sich von Anfang an explizit an der deutschen Geschichte und besonders an der Zeit des Nazi-Regime abgearbeitet haben und niemals die Bedeutung ihrer Staatsangehörigkeit für ihr künstlerisches Arbeiten abgestritten haben. „Guardian“-Kunstkritiker Adrian Searle lässt es sich nicht nehmen, noch einmal auf die weithin wahrgenommene Kölner Rede von Kardinal Meisner von letzter Woche zu verweisen und sie in direkten Zusammenhang mit der Berliner Staatsanwaltschaft von 1963 wie aber auch den repressiven Methoden der Nazis zu setzen.

Das ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Beschäftigung mit Baselitz in England immer auch eine erneute grundlegende Beschäftigung mit der deutschen Geschichte bedeutet; und dafür schätzen die Engländer Baselitz' Werk vielleicht besonders. Ab 1969 dreht Georg Baselitz seine Bilder um, sie stehen kopf. „Als ich das das erste Mal gemacht habe, dachte ich, ich hätte ein ganz wichtiges Problem gelöst und einen großen Befreiungsschlag für alle Künstler vollzogen“, erinnert er sich und verdeutlicht damit noch einmal, dass es nicht um ein Markenzeichen ging. „Nur, weil es immer noch die Idee von einem »Richtigherum« gibt, kann ich überhaupt meine Bilder »auf den Kopf stellen«.“

„Ich wollte zeigen, dass ich es noch kann“, erklärt Baselitz die Idee, seine eigenen Bilder noch einmal zu malen. Dies hat vielen Betrachtern Schwierigkeiten bereitet - die neuen Bilder, die der Künstler teilweise in wenigen Stunden gemalt hat, weisen nicht mehr die Kraft und die Wut auf, die den früheren Bildern innewohnte und für die man sie bewundert hat. Doch fragt sich, ob es hier vielleicht - anders als im Frühwerk - gar nicht mehr um das einzelne Gemälde geht. Vielmehr ist es womöglich das ungewöhnliche Konzept, ein Frühwerk als Spätwerk wiederauferstehen zu lassen, dem hier die Anerkennung gebührt.