Bürgerbegehren gegen Zeitgenössische Kunst in der Salzburger Altstadt
Salzburg bleib frei!
27. November 2006

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Obwohl das Salzburger Festival Kontracom 06 für Kunst im öffentlichen Stadtraum schon im Juli zu Ende ging, sorgt es nach wie vor in Salzburg und allmählich auch darüber hinaus für Aufregung. Ihm nämlich verdankt Salzburg ein ungewöhnliches Bürgerbegehren, das die Stadt nur widerwillig in der Woche vom 27. November bis zum 2. Dezember 2006 durchführt: Peinlicherweise begehren die Bürger eine gegenwartskunstfreie Salzburger Altstadt!

Das Kontracom-Festival, das anlässlich des Mozartjahres in diesem Sommer in Salzburg stattgefunden hatte, erlangte außerhalb der Landesgrenzen oder vielleicht auch schon jenseits der Stadtgrenzen nur geringe Aufmerksamkeit. Und das, obwohl mit Max Hollein (Direktor der Schirn Kunsthalle, des Städel-Museums und des Liebig Hauses in Frankfurt am Main) und Tomas Zierhofer-Kin (Intendant des Donaufestivals Krems) zwei namhafte Protagonisten der Kunst- und Musikszene für das künstlerische Konzept als Kuratoren gewonnen werden konnten. Dementsprechend illuster war die Auswahl der beteiligten Künstler: Knut Asdam, Christoph Büchel, Michael Elmgreen/Ingar Dragset, Ayse Erkmen, Jonathan Meese, Olaf Nicolai, Paola Pivi, Michael Sailstorfer, Hans Schabus und Markus Schinwald.

An Paola Pivis auf dem Residenzplatz aufgestellten Helicopter upside down in a public place schon entzündete sich bürgerlicher Unmut. Was die Gemüter aber wirklich erregt, ist Christoph Büchels Festival-Beitrag Salzburg bleib frei. Der Schweizer (geb. 1966) ist bekannt für seine begehbaren, oft klaustrophobischen Szenarien, wie beispielsweise Shelter 2002 im Haus der Kunst in München oder im letzten Jahr Hole in der Kunsthalle Basel. Aktuell zeigen Hauser & Wirth in ihrer Londoner Coppermill Büchels gigantische Installation Simply Botiful (noch bis zum 18. März 2007).

Büchels von einer kaum fassbaren Detailbesessenheit und Bauwut zeugenden Räume fordern dem Publikum immer wieder das äußerste an Selbstüberwindung ab. Jedoch sorgen besonders seine weniger raumgreifenden konzeptuellen Arbeiten für Irritationen – wie beispielsweise 2002 seine und Gianni Mottis Ausstellung im Züricher Helmhaus, bei dem Mottis und Büchels Konzept vorsah, das veranschlagte Ausstellungsbudget von 50.000,- Schweizer Franken im Ausstellungsraum zu verstecken. Wer es fand, sollte es behalten dürfen. Der Züricher Stadtpräsident verbot diese „Ausstellung“. Offensichtlich warf sie gar zu unangenehme Fragen nach dem Wert von Kunst und Geld auf. Auch, dass Büchel im selben Jahr seine Einladung zur Teilnahme an der Manifesta in Frankfurt bei ebay versteigerte, kam nicht allzu gut an.

2005 für die Biennale in Venedig startete er, erneut gemeinsam mit Gianni Motti, die Guantanamo Initiative . Aufgrund der Tatsache, dass der Mietvertrag für Guantanamo Bay zwischen den USA und Kuba nicht rechtmäßig ist, bekundeten die beiden Schweizer Künstler ihr Interesse, die Nachfolge der USA als Mieter anzutreten. Zahlreiche Akten und Papiere dokumentieren, dass es sich bei dieser Kampagne nicht um eine fiktive Kunstaktion handelte, sondern um ein in die Realität überführtes Unterfangen mit all seinen bürokratischen Nebenwirkungen.

Noch „realer“ hat sich jetzt Büchels Kontracom-Beitrag ARS Aktion Reales Salzburg entwickelt: Im Rahmen des Festivals ließ der Künstler an einem Stand an der Staatsbrücke Unterschriften sammeln. In dem zu unterschreibendem Text heißt es unter anderem: „Der Gemeinderat der Stadt Salzburg soll beschließen, dass die Salzburger Altstadt – für die Dauer eines fünfjährigen Moratoriums – frei von Gegenwartskunst im öffentlichen Raum bleibt. [...] Besinnen wir uns im Mozartjahr 2006 wieder auf die Qualität und Werte der Kunst- und Kulturstadt Salzburg! Das mit insgesamt 1,35 Millionen Euro – davon tragen 900.000,- Euro alleine die Stadt und das Land Salzburg – subventionierte Kunstfestival Kontracom 06, insbesondere dessen geplante Wiederholung im zweijährigen Rhythmus, stellt einen respektlosen Angriff auf das Kulturverständnis der Salzburger Bevölkerung und der vielen Besucher dar. Schluss mit der Verschandelung unseres Weltkulturerbes! [...]“

2000 Unterschriften von wahlberechtigten Personen der Stadt Salzburg sind nötig, um ein Bürgerbegehren einzuleiten. Büchels Aktivisten bekamen über 3700 zusammen. Die Stadt hielt den Atem an, ob der Künstler diese nun wirklich offiziell dem Bürgermeister Heinz Schaden überreichen würde. Natürlich tat er das: Am 31. August erfolgte die Abgabe der Unterschriftenliste im Büro des Bürgermeisters. Damit hatte die Stadtregierung den Salat, denn nun lag es an ihr, den Antrag zu prüfen, also festzustellen, ob genug gültige Unterschriften zusammengekommen waren. Zweifellos konnte man hoffen, dass vor allem nicht-wahlberechtigte Kunsttouristen ihren Namen unter das polemische Pamphlet gesetzt hatten. Aber es stellte sich heraus, dass immerhin 1800 Unterschriften von Salzburger Bürgern stammten. Die Aktivisten nutzten die übliche Frist zur Nachreichung der fehlenden Unterschriften und reichten noch einmal 500 nach. Damit stand fest: Die Stadt ist verpflichtet, das Bürgerbegehren für eine gegenwartskunstfreie Salzburger Altstadt durchzuführen. Ab heute also können die Salzburger ihre Stimme gegen die „Verschandelung“ ihrer Altstadt durch zeitgenössische Kunst abgeben.

Dass Kunst bisweilen ernst zu nehmen ist, musste jemand wie Heinz Schaden anscheinend erst bei dieser Gelegenheit lernen. Der Bürgermeister steht seither unter Beschuss. In völliger Fehleinschätzung der Situation – und ganz offensichtlich in Unkenntnis von Christoph Büchels Werk – hatte er die vermeintlich fiktive Aktion genehmigt. Nun muss die Stadt die rund 40.000,- Euro, die für das Bürgerbegehren nötig sind, bezahlen. Flugs hat man diese den Veranstaltern von Kontracom in Rechnung gestellt, die laut Inge Brodil, Generalsekretärin von Mozart 06, die Kosten auch übernehmen werden. – Die Frage nach der Logik dieses Vorgehens muss an dieser Stelle erlaubt sein.

Dass sich am Ende die Salzburger wirklich mit dem Bürgerbegehren für „ unverzügliche Wiederherstellung des früheren Zustandes der durch diese Nicht-Kunst verschandelten Altstadt“ aussprechen, ist unwahrscheinlich. Darauf kommt es vielleicht auch gar nicht so sehr an wie vielmehr darauf, dass Christoph Büchel eine inzwischen überregional geführte Debatte um den Sinn von Gegenwartskunst angestoßen hat. Der Künstler selbst tritt dabei übrigens konsequent nicht in Erscheinung. Nur wenige dürften überhaupt wissen, wie er aussieht – ein weiterer Punkt, den die meisten dem Störenfried nicht verzeihen mögen. Dabei ging es bei ARS von Anfang an nicht um die Person des Initiators, sondern um das doch stets spürbare und gerne politisch korrekt verleugnete Misstrauen des durchschnittlichen Bildungsbürgers gegenüber zeitgenössischer Kunst. Plötzlich stellt das einer – mit simpelsten „demokratischen“ Mitteln – auf unangenehme Weise dar.

Aufschlussreich war es, in den letzten Wochen die Berichterstattung in der Salzburger und österreichischen Presse, die Äußerungen aufgescheuchter Politiker und den Austausch in Internetforen zu verfolgen. Immer wieder fühlt sich jemand bemüßigt darauf hinzuweisen, dass viele ja gleichsam hinters Licht geführt worden wären, da sie sich beim Unterschreiben nicht dessen bewusst gewesen seien, dass es sich um eine „ironische“ Kunstaktion gehandelt habe – ja, ist das denn nicht gerade das Alarmierende, der Knackpunkt sozusagen? Und was ist hier eigentlich ironisch? Christoph Büchel, so ist ebenfalls zu lesen, habe sich wohl selbst ins Knie geschossen, wenn nun als Folge seiner Aktion Werke seiner Künstlerkollegen und auch von ihm selbst nicht mehr in Salzburg ausgestellt werden dürften – mit nahezu absoluter Sicherheit ist zu sagen, dass dies dem Schweizer reichlich wurscht sein dürfte. Ja, er würde sich vermutlich sogar ins Fäustchen lachen beim Anblick einer „kunstbereinigten“ Salzburger Altstadt, die deutlichster Ausdruck der Borniertheit einer erschreckend reaktionären Bürgerschaft wäre.