Interview mit Julian Heynen
Über die Lust, alles kaputt zu deppern

erschienen am 21. März 2007 auf artnet.de: artnet.de/magazine/interview-mit-julian-heynen/


Dr. Julian Heynen, Jahrgang 1951, studierte Kunstgeschichte, Archäologie und Germanistik in Bonn und Aachen. 1979 erhielt er einen Lehrauftrag am Institut für Kunstgeschichte der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Er arbeitete unter anderem für das Wallraff-Richartz-Museum und das Museum Ludwig in Köln, das Wilhelm-Lehmbruck-Museum in Duisburg (1978-81) und war von 1981 Ausstellungsleiter, später bis 2000 stellvertretender Direktor des Kaiser-Wilhelm-Museums Krefeld. Während dieser Zeit kuratierte er insbesondere im Haus Lange und im Haus Esters Ausstellungen zeitgenössischer Kunst. 2003 war er Kurator des deutschen Pavillons auf der 50. Internationalen Kunstausstellung der Biennale di Venezia 2003. Seit 2001 ist Heynen künstlerischer Leiter von K21 der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, der im April 2002 eröffneten Sammlung für Kunst des 21. Jahrhunderts.

artnet Magazin: Herr Heynen, Sie als Museumsmann können die Entwicklungen auf dem Kunstmarkt eher aus der Distanz betrachten – trotzdem verfolgen Sie das aktuelle Geschehen ja sicher mit und bilden sich Ihre eigene Meinung dazu. Warum wird so hartnäckig immer wieder die Explosion des Kunstmarktes heraufbeschworen?

Julian Heynen: Ich glaube, hinter dem Katastrophenszenario für den Kunstmarkt steckt eine alte Traumvorstellung, die verschmitzte Lust, ein Revolutiönchen zu erleben, mal wieder alles kaputt zu deppern. Man kennt das ja von sich selber auch: Man möchte manchmal auf den Tisch hauen und sagen, ich kann dieses Geschwätz von Sotheby’s und Christie’s und ich weiß nicht wem nicht mehr hören. Und wenn Thomas Krens über sein Superding in Abu Dhabi redet, dann möchte man einfach nur abschalten und sagen „Schnauze halten“ oder Oropax in die Ohren stecken.

Der Wunsch, dass der Kunstmarkt in sich zusammenbreche, ist immer wieder mal da. Wäre doch toll, wenn all die Kunstinvestoren, die mit Geld nur so um sich werfen und andere rausdrängeln, plötzlich am Bettelstab gehen und uns als Clochards auf der Straße begegnen. Das ist natürlich alles nur ein romantischer Augenblickswunsch. Es wird meiner Meinung nach im Kunstmarkt weiterhin größere und kleinere Ups und Downs wie an jeder Börse geben. Was relativ neu ist und die Sache enorm ausweitet und beschleunigt, ist die globale Attraktivität des Produktes „Zeitgenössische Kunst“. Es hat seinen Ursprung in unserer Kultur, ist also eigentlich eine regionale Angelegenheit, die allerdings weltweit bei den Eliten in immer mehr Ländern als Import- und Exportschlager äußerst beliebt wird. Die Frage ist: Sind sie auf diesem Trip, weil damit Geld und Prestige und so Anschluss an die offensichtlich erfolgreichste Kultur der Welt – die europäisch-nord amerikanische – zu gewinnen ist oder gibt es für die sensibleren und nachdenklicheren Leute in den ganz anderen Kulturen noch etwas Wichtigeres in diesem Modell von Kunst? Darauf habe ich noch keine wirklich befriedigende Antwort gefunden.

Angenommen, es gäbe diese „andere Attraktion“, wie könnten die Museen und Ausstellungsmacher das für sich nutzbar machen?

Was sehen Menschen anderer Kulturen in unserem Konzept zeitgenössischer Kunst? Sehen sie darin ein extremes Moment von Freiheit? Ist die Avantgardekunst ein zugespitztes Symbol für Demokratie? Große These. Erinnert stark an die Erfolgsgeschichte nordamerikanischer Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg – zumal in Deutschland. Man kann dem global werdenden Erfolg des Modells aber auch kritisch gegenüber stehen: Geschieht da nicht einfach das, was wir aus der Geschichte des Kolonialismus schon kennen? Ist die Gegenwartskunst sozusagen die letzte Speerspitze des Kolonialismus? Und sind wir, die wir ja mit bestem Wissen und Gewissen globale Künstler, Kuratoren und Theoretiker sind, eigentlich nur neue Missionare? Oder andersherum: Ist das Klagen über diese unkontrollierte Ausbreitung „unserer“ Kunst nicht Arroganz nach dem Motto „wir wollen unter uns bleiben“? Die optimistische Sicht wäre, die Kunst wirklich als ein zugespitztes Moment individueller Freiheit zu sehen, die sozusagen unsere Vorstellung einer Befreiung, einer Erweiterung menschlicher Möglichkeiten auch in andere Kulturen trägt. Die Globalisierung ist die große Herausforderung auch in der Kunst, aber hier stehen wir in einem Spagat. Auf der einen Seite wird man leicht Teil einer Eroberungskultur...

...was wir zweifellos in gewisser Weise tun...

Ja, leider. Manchmal ist das kaum zu vermeiden. Auf der anderen Seite gibt es den hoch interessanten Prozess, im Zuge dessen sich eine – wie wir glauben – sehr humane Idee der individuellen Freiheit auch via Kunst weiter unter den Menschen verbreiten könnte. Aber all das ist natürlich allein aus unserer Perspektive gesagt.

Ein großes Problem ist sicher darin zu sehen, dass die Kolonialisierten sich immer dazu verpflichtet fühlen, die – im weitesten Sinne – Sprache der Kolonisierenden, also in diesem Falle unsere Sprache, zu lernen und zu benutzen, um sich verständlich zu machen.

Ein Kollege, der seit einem Jahr sehr intensiv in ein Projekt in China involviert ist, erzählte mir, dass nach seiner Einschätzung etwa 80 bis 90 Prozent aller Beteiligten im zeitgenössischen chinesischen Kunstbetrieb nur an Faktoren wie Karriere oder Markterfolg interessiert sind, also nur Anschluss an den Westen finden wollen. Was ist mit den anderen 10 bis 20 Prozent? Was können sie einem erzählen?

Das marktorientierte Interesse scheint allerdings nicht nur den asiatischen Künstlern Eigen zu sein, von den Professoren an den deutschen Kunstakademien hört man diesen Vorwurf in letzter Zeit auch sehr häufig.

Ja, diese Sicht ist innerhalb der mittleren Generation recht verbreitet. Aber wir alle begegnen immer noch jungen Künstlern, die einfach ihre Arbeit machen, die etwas herausfinden wollen und sich um das Drumherum wenig kümmern. Womöglich wird man viele von ihnen später nicht auf den ganz großen Bühnen finden. Nicht, weil sie schlechtere Künstler sind, sondern weil es in der heutigen Kultur nicht „sexy“ genug ist, beharrlich einer komplexen künstlerischen Fragestellung nachzugehen. Das System ist auf die schnelle Herstellung handelbarer Produkte ausgerichtet. Schon in den frühen 1980er Jahren hatten wir dieselbe Diskussion über die fortschreitende Ökonomisierung der Kultur. Und wenn es nun schon mehrere Generationen von Kunststudenten gibt, die unter diesen Bedingungen leben, ist es ja nicht ganz so verwunderlich, dass diese angeblich so vergötterten Sondertypen, die Künstler, häufig auch so reagieren wie die Mehrzahl der Bevölkerung, die konsumistisch eingestellt ist. Kunst kann jedoch aus allem gemacht werden, auch aus einer konsumistischen Haltung. Es geht halt um das Wie und um den Schritt über die reine Darstellung oder Wiederholung der Tatsachen hinaus.

Auffällig im Kunstbusiness ist, dass höchst selten wirklich ehrliche und kritische Meinungen vertreten werden, dass überhaupt Argumente vorgebracht werden, geschweige denn, dass sich eine solide geführte Diskussion über die Qualität künstlerischer Arbeit ergäbe.

Wir leben in einer völlig affirmativen Gesellschaft. Deswegen stellt sich heute ja so dringend die Frage, was überhaupt noch ein kritischer Umgang mit Kunst ist oder was er (wieder) sein sollte. Man muss über Kriterien reden. Bei der Kunstkritik ist es im altmodischen Verständnis relativ leicht: Sie soll mit deutlichen Worten sagen, was sie gut findet, was sie schlecht findet und warum. Heute gibt es stattdessen diese Serviceleistung „Kunstkritik“, die nur Hofberichterstattung ist, oder es gibt diejenigen, die eher eine Art von Ideologiekritik auf theoretischer Ebene betreiben. Die Funktion der Kunstkritik als etwas, das ein Zwischenglied darstellt zwischen dem Publikum und den Kunsttatsachen muss wieder gestärkt werden in dem Sinne, dass sie stärker Stellung bezieht.

Aber diese fehlende Bereitschaft Stellung zu beziehen, ist ja durchaus auch bei Kuratoren und anderen Ausstellungsmachern zu beobachten.

Kuratoren sind in einer sehr speziellen Situation.

Will man den Kollegen nicht ans Bein pinkeln?

Es geht nicht in erster Linie um die Peergroup. Wir haben im 20. Jahrhundert keine Kultur entwickelt, wie man sympathisierend, aber kritisch miteinander umgehen kann. Wir haben immer noch die Vorstellung, wir müssten die avantgardistische Kunst durchsetzen, wir müssten uns gegenüber der dummen Gesellschaft mit dieser unendlich wichtigen Sache Kunst behaupten. Also fürchten wir, Nestbeschmutzer zu sein, wenn wir sagen: Das ist das Wichtigste der Welt, aber da und da hat der Künstler versagt. Die meiste Kunstliteratur der letzten 100 Jahre ist apologetisch. Und da kommt man auch nicht so einfach heraus. Ich hatte vor ein paar Jahren ein langes Gespräch mit einem sehr intelligenten Kollegen, der jetzt nicht mehr aktiv ist. Er zog aus seinem langen, intensiven und sehr guten Schreiben über Kunst das Fazit, damit aufzuhören, weil er nicht wusste, in welcher Form er zum einen sympathisierend und zum anderen, wenn notwendig, bis zum letzten kritisch über das Werk eines Künstlers schreiben sollte - ihm fehlte die Form hierfür, eine Form, die sich kommunizieren lässt.

Für mich ist es wichtig, dass wir, die wir nahe am Entstehungsfeld der Kunst sind, uns beim Schreiben zuerst einmal sehr konkret auf die physische oder weniger physische Natur der Werke einlassen. Bei den Verknüpfungen und Schlussfolgerungen – sei es die große historische, die theoretische oder die kritische Vernetzung – muss man eher vorsichtig sein, ohne sie allerdings zu meiden. So nah an den Dingen sind wir in der Regel kaum in der Lage, mit etwas Abstand oder objektiv darüber zu reden. Das ist ein Prozess, der sich dann Jahre später durch andere vollzieht – manchmal auch durch einen selbst, wenn man Glück hat.

Ein Lob leistet man allerdings schon allein durch die kuratorische Auswahl.

Ja, das ist ein persönliches Bekenntnis. Ich stehe hier, ich kann nicht anders. Das wird auch sofort registriert, das wird vom Markt aufgenommen usw. Ausstellen allein ist eine grundsätzlich positive Geste in der Kunst. Aus diesem Wertezusammenhang kommt niemand heraus.

Oft werden Ausstellungen allerdings mit einer vollkommen unangemessen wirkenden Heftigkeit auseinander genommen, ohne dass dabei jedoch wirklich fundiert Kritik an den gezeigten Werken geübt wird.

In der Tat hat sich im Laufe der Zeit im Kunstbetrieb die öffentliche Auseinandersetzung auch unter den direkt Beteiligten immer weiter zurückentwickelt. Es ist angenehm, sich in sauberen, gut beleuchteten und beheizten Räumen aufzuhalten, sich hübsche Oberflächen anzuschauen, (mehr oder weniger) nette Menschen des eigenen Schlages zu treffen etc. – das ist durchaus nicht die schlechteste Art, sein Leben zu genießen. Nur, wenn es sich darauf reduziert, wird es langweilig. Die heute existierende Kunstwelt – oder vielleicht sollte man lieber sagen: das Kunstfeld – ist ein Opiat im Hinblick darauf, wie man Kunst eigentlich wahrnehmen könnte. Das Kunstfeld ist in gewisser Weise durch seinen eigenen Erfolg behindert. Ich ziehe meinen Hut vor den wenigen Leuten die sagen: Bis hierher und nicht weiter, ich steige aus. Man hört ja hin und wieder von solchen Fällen, allerdings nur selten bei prominenten Leuten, die relativ hoch auf der Leiter gekommen sind.

Sie nun aber zeigen keinerlei Ermüdungserscheinungen, im Gegenteil. Neben Ihrer Aufgabe als künstlerischer Leiter in K21, Düsseldorf, beteiligen Sie sich jetzt auch noch an dem Projekt „Kunsthalle Berlin“ – warum?

Ich mache da gar nicht viel. Ich gehöre nur zu denen, die auch glauben, dass es in Berlin grundsätzlich eine richtige Kunsthalle geben sollte. Eher durch Zufall bin ich durch die Ausstellung von „White Cube Berlin“ im Palast der Republik vor mehr als einem Jahr, die ich sehr gut fand, zu der Initiative dazu gestoßen und nun gemeinsam mit Gerald Matt, Katja Blomberg und Dirk Luckow Mitglied eines kleinen künstlerischen Beirats. Für mich ist wichtig, dass es sich zuerst einmal um ein provisorisches, ein temporäres Projekt zur (teilweisen) Zwischennutzung des Schlossplatzes handelt, dass also von Anfang an ein Enddatum für diese Aktivität an diesem Ort festgelegt ist. Erklärtes Ziel des neu gegründeten Vereins „Kunsthalle Berlin“ ist die Einrichtung und der Betrieb einer provisorischen Kunsthalle als Vorläufer einer später einzurichtenden permanenten Kunsthalle an anderer Stelle. Entscheidend finde ich auch, dass die Idee einer Kunsthalle Berlin mit einem eigens dafür eingerichteten Gebäude verknüpft ist – ich glaube nicht an die dezentralisierte, die ständig wandernde Kunsthalle, wie sie anderswo diskutiert wird.

Was genau reizt Sie denn so an diesem Projekt?

Dass das Projekt ursprünglich aus einer künstlerischen Initiative hervorgegangen und aus einem ästhetischen Interesse heraus entstanden ist. Nicht Kulturpolitik, Städtemarketing oder Lifestyle standen am Anfang, sondern künstlerische Sichtweisen und Überzeugungen.

Wie sind innerhalb des Vereins die Aufgaben verteilt und gibt es schon ein Programm?

Es ist noch zu früh, darüber zu reden, wer was wie machen wird. Aber natürlich gibt es schon Überlegungen und Vorstellungen. Klar ist jedenfalls, dass es fast keinen Apparat geben soll. Eindeutig soll die Kunst im Mittelpunkt stehen. Das heißt keine groß angelegten Themenausstellungen, kein Crossover von diesem und jenen, sondern „center stage for art“!

Und wie beurteilen Sie die vorliegenden Entwürfe für die architektonische Ausführung?

Neben dem Entwurf von Adolf Krischanitz gibt es ja die anders angelegten Entwürfe, die die Zeitschrift Monopol lanciert hat. Es liegt also einiges auf dem Tisch. Jetzt wird man darüber reden müssen. Architektonische Träume und praktische Möglichkeiten müssen ausbalanciert werden. Aber man sollte die Gunst der Stunde nutzen: Die Eröffnung einer Kunsthalle Berlin noch vor Ende des Jahres wäre doch ein gutes Ziel.