Mein erstes eigenes Kunstwerk
veröffentlicht Herbst 2007 in: Tomate, Web-Magazin, hg. von Julia Keith

Kunsthistorikerin zu sein, sich in der ständigen Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst zu befinden, dabei aber nicht in der Lage zu sein, Kunst kaufen zu können, war bei mir stets mit einem unbestimmten Gefühl der Unzulänglichkeit verknüpft. Mit Neid las ich, wie sich die Specks und Schürmanns, Falckenbergs und Stoscheks die prächtigsten Kunstsammlungen zusammengekauft haben und noch weiter zusammenkaufen, und dachte mir: „Ja-ha, die haben ja auch das nötige Geld und können es sich leisten, tausende von Euro für die großen Namen hinzublättern.“

Irritierend dabei ist, dass die meisten Sammlergeschichten jedoch so beginnen (Andreas Gurskys Darling und Großindustriellentochter Julia Stoschek (geb. 1975) einmal ausgenommen), dass der jeweilige Sammler – übrigens fast immer Männer, und wenn ein Paar als Sammler firmiert, geht es doch immer nur wieder um ihn als Sammler und Freund der Künstler – die meisten Sammlerlegenden beginnen also so, dass der jeweilige Sammler in jungen und jüngsten Jahren von seinem ersten Ersparten oder seinem ersten selbst verdienten Geld einen frühen Beuysrichterkippenbergerpolke gekauft hat. Damals war Beuysrichterkippenbergerpolke natürlich noch überhaupt nicht bekannt, und der junge Mann, der noch nicht wusste, dass er einmal ein passionierter Sammler werden würde, bekam das Werk für, sagen wir, hundert Mark. Dass dieser Beuysrichterkippenbergerpolke heute hunderttausende von Euro wert ist, spielt natürlich für den Herrn Kunstsammler überhaupt keine Rolle; das Blatt hängt nach wie vor über seinem Schreibtisch. Oder so ähnlich.

Perfide finde ich das.

Diese Geschichten legen nämlich nahe, dass Armut – im Sinne von normaler studentischer Finanzlage – kein Grund ist, nicht Kunst zu sammeln, denn wenn man nur wirklich wollte, wenn man Kunst nur genug lieben würde, dann würde man 1. sein letztes Hemd dafür geben und 2. würde man ja die wirklich gute Kunst schon erkennen, bevor sie teuer und unerschwinglich wird. Und! - dass wir uns nicht missverstehen: als wahrhaftiger Kunstsammler und Kunstliebhaber kauft man Kunst niemals im Hinblick auf ihre Wertsteigerung, also niemals als Investition oder Geldanlage. Das gilt als extrem pfui und geht mal gar nicht. Wenn ein preiswert erstandenes Kunstwerk Jahre später enorm im Wert gestiegen ist, ist dies nur der Beleg für die eindrucksvolle Kennerschaft des Sammlers und die Qualität der Kunst. (Von den zweifellos anzunehmenden Fehlschüssen redet natürlich später kein Mensch mehr.) Gerne werden diese Geschichten der frühen Treffsicherheit späterer großer Sammler (die dann interessanterweise alle im Laufe ihres Lebens zu soviel Reichtum kommen, dass sie sich auch noch die teuer gewordenen Beuysrichterkippenbergerpolkes leisten können) damit verknüpft, dass sich zwischen Künstler und Sammler eine enge Freundschaft entwickelt hat. Beide sind im Austausch miteinander, es ist ein Nehmen und Geben, der Sammler partizipiert am Kunstprozess, der Künstler (hoffentlich) am Vermögen seines Sammlers.

Dabei fällt mir eine mir bekannte Düsseldorfer Dame ein, die eher diskret, aber auch nicht gerade
niedrigpreisig sammelt, eine studierte Ökonomin, patent und tough im Job, die einer jungen Kollegin und mir
einmal erzählte, dass sie ja schon zu Studienzeiten – sie war damals zufälligerweise mit einem Künstler liiert
- immer einen kleinen Geldbetrag beiseitegelegt habe, um Kunst kaufen zu können. Heute ist sie übrigens
mit einem der bekanntesten deutschen Juweliere verheiratet. Na sowas.

Also.
Es sind verschiedene Fäden, die ich da, etwas verworren, in der Hand halte und auf die ich zurückführen
kann, warum ich immer völlig gehemmt war, Kunst zu kaufen. Natürlich hat man doch den Anspruch, zumal
als 'Frau vom Fach', etwas zu kaufen, von dem man glaubt, sein Wert könnte steigen. Man kann es ja so
formulieren: von dem man sich erhofft, seine Qualität setze sich durch. Aber wie fängt man an? Und welche
Kriterien legt man zugrunde? Denn leider, leider gibt es keine Richtlinien, die festlegen, was gute Kunst ist.
Mit dieser Entscheidung über die Güte von Kunst ist man – und das empfinde ich immer so und durchaus
nicht nur im Bezug auf eine mögliche Kaufentscheidung – sehr alleine. Der Unterschied bei der
Entscheidung, Kunst zu kaufen ist der, dass man seine Meinung spürbar, weil mit Geld, ziemlich teuer
bezahlt. Weil man sich sowieso nicht sicher sein kann, wie sich ein Kunstwerk oder ein Künstler auf dem
'Markt' entwickeln, sollte man aber zumindest sicher sein, dass man selbst das Kunstwerk wirklich gut findet
und gerne mag. Aber sogar dies ist ja etwas, was sich einigermaßen schnell ändern kann.

Es hilft nichts –
eine gewisse Risikofreude gehört dazu, die man womöglich, je weniger Geld zur Verfügung steht, als umso
einschüchternder empfindet. Oder aber man versucht, sich von all dem frei zu machen und das zu
beherzigen, was ich im übrigen als Museumstante nicht müde werde, den angesichts zeitgenössischer Kunst
oftmals sehr verunsicherten Besuchern zu predigen: einfach hinsehen und schauen oder fühlen, ob man eine
Arbeit mag oder nicht. Unabhängig von allem kunstgeschichte-, kunsttheorie- und kunstmarktbezogenen
Hintergrundwissen. - Nicht eben einfach nach elf Jahren Kunstgeschichtestudium und dem
Selbstverständnis, eine Kunstwissenschaftlerin zu sein.

Ging aber.

Ich brauchte ein Bild für mein Zimmer. Es sollte über meiner Kommode hängen. Im letzten Winter hatte ich in
einer Gruppenausstellung von Kunststudenten in der Figge von Rosen Galerie in Köln Collagen und ein
Video einer jungen Künstlerin gesehen, die mir Spaß gemacht hatten. Die fielen mir in diesem
Zusammenhang wieder ein, und ich dachte, dies könnte so etwa die Preislage sein, die ich mir leisten kann.
Ich rief die Galeristen an, die ich ganz gut kenne, und erkundigte mich nach diesen Bildern. Wenige Tage
später wurde ich eingeladen zur Besichtigung. Im hinteren Raum der Galerie waren eigens für mich zwei
größere und mehrere kleinere Collagen von Eli Hidalgo Cortiñas (geb. 1976) aufgehängt worden, von denen
ich mir nun eine aussuchen sollte. Ich drückte mich lange dort herum, konnte mich nicht entscheiden, war
auch etwas erschrocken über den Preis, der deutlich höher war, als ich gedacht hatte, und wusste überhaupt
nicht recht, was jetzt tun. Währenddessen war immer einer der Galeristen an meiner Seite und half mit mehr
oder wenigen klugen Bemerkungen, und ich muss zugeben, dass ich diesen ganzen Prozess ziemlich
genoss - es ist so ein ganz anderer Zugang zu Kunst als der, den ich bislang kannte. Es kam mir so vor, als
träte ich mit der Künstlerin selbst, die sich übrigens offenbar schwer von ihren Arbeiten trennen konnte („Aber
irgendwann muss sie ja mal anfangen.“ sagte der Galerist herzlos, aber zweifellos richtig), in eine direkte
Beziehung. Immerhin wollte ich etwas ziemlich Privates von ihr mit zu mir in mein Schlafzimmer nehmen.
Ich habe mich nicht gleich an dem Tag entschieden, aber kurze Zeit später. Bekam das Bild (o.T. (never get
involved), 2007, Mischtechnik auf Karton, 53,5 x 48,5 cm) auch noch etwas preiswerter, für € 856,- inkl.
Mehrwertsteuer, und konnte es dann nach Haus tragen. Meine Umgebung hat regen Anteil an diesem
meinen ersten Kunstkauf genommen. Was auch interessant ist: niemand hat gewagt zu sagen, dass ich ja
wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank habe, für eine Collage aus Zeitungsschnipseln und etwas Farbe
soviel Geld auszugeben. Ins Gesicht geschrieben stand diese Überlegung aber den meisten.

Schon klar:
Der Materialwert des Werkes beträgt wohl etwa 90 Cent. Und für was habe ich eigentlich die restlichen €
855,10 bezahlt? Keine Ahnung. Wirklich nicht. Und irgendwie ist das gerade der Reiz. Erstaunlich, finde ich.
Das hatte ich so nicht erwartet. Auch nicht, dass ich mich einer mir vollkommen unbekannten Frau nun auf
sehr eigene Weise verbunden fühle, weil ich etwas, was sie gemacht hat, von ihr gekauft habe. Auch nicht,
dass ich der jungen Sammlerin Chantal Blatzheim (hat im September ihren Kunstraum in Köln eröffnet) nun
allein deshalb Sympathie entgegenbringe, weil sie auch etwas von Eli gekauft hat (eine Videoarbeit, die ich
nicht nur bei Figge von Rosen schon einmal gesehen hatte, sondern auch bei den Tagen der offenen Tür an
der Kölner Kunsthochschule für Medien, wo Eli übrigens studiert). Und auch nicht, dass ich nun in
Galerieausstellungen gehe und denke: „Ach, guck mal, € 2.000 - gar nicht so teuer, könnte ich ja mal drüber
nachdenken...“. Kunst ist für mich plötzlich etwas geworden, das ich mir nicht nur intellektuell oder intuitiv –
jedenfalls virtuell – aneignen kann, sondern auch materiell. Und das wiederum verändert meinen geistigen
Zugang zu ihr.

Interessant, nicht?