Die Welt bleibt draußen

Das „Berghain“ in Berlin

erschienen in: Kunstzeitung, Juli 2009

Über keinen Club in Berlin spricht man zur Zeit soviel wie über das inzwischen legendäre, vor kurzem vom britischen Magazin „DJ Mag“ zum „besten Club der Welt“ gekürte „Berghain“, seit 2004 in der Wriezener Straße am Ostbahnhof in einem ehemaligen Heizwerk aus den 50er Jahren. Die niemals versiegenden Geschichten handeln, wie es sich gehört, allesamt um Sex und Drogen, und jeder, der es nach meist stundenlangen Wartezeiten schon mal durch die „härteste Tür Berlins“ geschafft und die gründlichen Leibesvisitationen überstanden hat, kann mitunter bizarre Geschichten von kopulierenden Paaren an der Bar oder seltsamen Begegnungen auf der Toilette erzählen.

Das „Berghain“, dessen Name sich aus den Namen der Berliner Stadttteile Kreuzberg und Friedrichshain zusammensetzt, besteht aus mehreren Bars auf drei Ebenen, zwei Dancefloors und verschiedenen Darkrooms. Zudem sieht sich der Club, der das Plattenlabel „Ostgut“ betreibt, auch noch als Kulturzentrum, in dem Lesungen und sogar klassische Konzerte stattfinden. Die Installation „Rituale des Verschwindens“ (2004) des polnischen Künstlers Piotr Nathan schmücken den Eingangsbereich, der Künstler Marc Brandenburg hat vor einigen Monaten eigens für diese „Kathedrale des Nachtlebens“ Fenster geschaffen, und natürlich dürfen auch die Fotografien von Stammgast Wolfgang Tillmanns nicht fehlen.

Wenn hier am Samstag ab Mitternacht - bis zum Sonntagabend! – über 1000 Menschen zu Techno-Beats toben, ist Fotografieren nicht erlaubt. Die Welt bleibt draußen. Vielleicht deshalb hat sich das „Süddeutsche Magazin“ kürzlich die Mühe gemacht, einen genauen Raumplan abzudrucken – für alle die, die niemals an dem wüst tätowierten und gepiercten und inzwischen auch schon legendären Türsteher Sven Marquardt vorbeikommen. Das „Berghain“ ist also längst aus dem Underground im Mainstream angekommen, wird nicht nur in allen seriösen deutschen Tageszeitungen besprochen, sondern auch in jedem aktuellen Reiseführer erwähnt. Touristen aus aller Welt pilgern hierher und zittern beim Schlangestehen vor dem Moment, in dem der Türsteher darüber entscheidet, ob sie hineindürfen oder nicht (und allzu oft dürfen sie es nicht). Dabei sind die Auswahlkriterien anscheinend willkürlich, und es kann jeden immer treffen – ob schwul oder hetero, Berliner oder Tourist, Punk oder Popper. Das ist es, was gerade auch Künstler am „Berghain“ fasziniert: gesellschaftlich normierte Auswahlkriterien greifen hier nicht. Musiker, kaufmännische Angestellte, Künstler, Galeristen und Arbeitslose treffen sich hier und können für Stunden und ganze Nächte „vergessen, wer wir sonst sind“, wie es eine junge Berliner Künstlerin formuliert. Womöglich unterscheidet dies das „Berghain“ von bekannten Künstlertreffpunkten früherer Jahrzehnte, in dem sich die künstlerischen Avantgarden trafen, wie den Cafés im Pariser Quartier Latin, den Pubs im Londoner Osten, Kippenberges SO 36 in Kreuzberg oder dem Ratinger Hof in Düsseldorf: im „Berghain“ gehen die Künstler wie alle anderen vollkommen in der Masse auf – von ihnen wird nichts anderes erwartet, als Teil der „crowd“ zu sein.