(veröffentlicht im Oktober 2008, in: Tomate, temporäres Web-Magazin, hg. von Julia Keith)

Absender: Barbara Scheuermann <babusch(at)isic.org>
Datum: 10.Oktober 2008, 17:32
Empfänger: Julia Keith <julia.keith(at)dietomate.net>
Betreff: Unser Dauerbrenner: Kunst und Kultur aus dem "Rest der Welt" und wie man damit umgeht


Liebe Julia,


eben habe ich eine Email von einem belgischen Kunstmagazin bekommen, die,
glaube ich, gar nicht an mich gerichtet war, denn sie war ohne Anrede und auf
flämisch. Über einer Email von mir, in der ich vor einigen Wochen der Redaktion des Magazins
einen Themenvorschlag unterbreitet hatte, stand: "Vind ik zeer interessant. Ja, wat
mij betreft."
Das hat mich sehr gefreut, denn – Du wirst nicht überrascht sein – ich habe der
Redaktion vorgeschlagen, dass ich mal über die Frage schreibe, wie man sich als
Mitteleuropäer, "Westler", angemessen, ergiebig, gerecht usw. der so genannten
"nicht-westlichen" Kunst nähern sollte.


Unser altes Thema also, das wir ja eigentlich jedes Mal, wenn wir uns sprechen,
zumindest kurz streifen – meistens aber lang. Und immer mit großer Begeisterung,
aber auch Ratlosigkeit. Wenn ich die flämische Email recht verstehe, steht mir da
nun ein offizieller Auftrag ins Haus, der mich also dazu zwingt, mich endlich mal
ernsthaft und eingehend – wissenschaftlich! – mit diesem Thema
auseinanderzusetzen, so dass ein nachvollziehbarer (oje) Text daraus wird. Das war
ja, wie Du weißt, eigentlich schon der Plan für diese "Tomate" gewesen, aber mitten
im Umbruch, Wohnung suchen, Jobs akquirieren und Versuchen, die Nerven zu
behalten (hat alles mehr oder minder gut geklappt), ist mir das leider nicht geglückt –
natürlich vor allem deshalb, weil ich das Gefühl habe, dass der Text besonders
wichtig wäre (womit ich nicht sagen will, dass meine Katzen nicht besonders wichtig
gewesen wären!) und ich ihn nicht mal eben so zwischendurch schreiben kann.
Worum geht's eigentlich? (...und immer an den Leser denken! – ich will ja nicht so
tun, als wäre diese Email wirklich nur für Dich) Im Laufe der Jahre ist mir immer
deutlicher zu Bewusstsein gekommen, dass wir eine extrem eurozentristische
Sichtweise pflegen. Zwar wird das in aufgeklärten Kreisen immer wieder beflissen
festgestellt, aber Anstrengungen, dies zu verändern, werden eher selten
unternommen. Das übrigens scheint in England etwas anders zu sein, wo die postkoloniale
Debatte mit sehr viel mehr Engagement und Dringlichkeit geführt wird. Das
liegt mit Sicherheit an der britischen Kolonialgeschichte und daran, dass zumindest
London ein wahrer "melting pot" ist, in dem jedes Land der Erde durch wenigstens
einen Menschen vertreten zu sein scheint. Deshalb sind Podiumsdiskussionen wie
die vom Londoner ICA (Institute of Contemporary Arts) letztes Jahr zum Thema "The
curator as cultural importeur?" stets sehr gut besucht und bieten eine Unmenge an
interessanten Gedankenansätzen (jedoch keine Antworten).


Bei meinen Überlegungen zu diesem Thema beschränke ich mich auf den Bereich
des Ausstellungswesens für zeitgenössische Kunst, Du denkst eher an die
zeitgenössische Musikszene. Die Problemstellung ist ähnlich: bekannt ist uns 'hier'
die Kunst aus unserem Kulturkreis, Kunst aus anderen Teilen der Welt wird meist mit
dem Label "exotisch" versehen (bei der Musik gibt’s auch noch den Begriff
"Weltmusik", oder? der ja, wenn man nur eine Sekunde drüber nachdenkt, schon
reichlich seltsam ist). In den letzten Jahren sind Ausstellungen beliebt geworden, die
Titel tragen wie "Zeitgenössische pakistanische Kunst" oder "Fotografie aus China".
Dies sind Versuche, der Übermacht der westlichen Kunst (bei unserem letzten
Gespräch hast Du noch mal gefragt: "Westlich...von was eigentlich?") in den
europäischen und nordamerikanischen Museen und auf dem Kunstmarkt
entgegenzutreten und die Kunst aus anderen Ländern – "Non-Western art" – hier
einzuführen. Die Etikettierung als Kunst aus einem bestimmten Land wird guter
Kunst normalerweise aber nicht gerecht. Wenn man eine Kultur jedoch nicht gut
kennt – und welche Kultur kann man schon gut kennen, in der man nicht jahrelang
selbst gelebt hat? –, dann ist es unglaublich schwer Bewertungskriterien für ihre
Beurteilung zu entwickeln. Das ist ja schon schwer genug bei den Kunstwerken aus
dem eigenen Kulturkreis.
Also, was tun?


Tja, und das ist genau unsere Frage, nicht wahr? Und anstelle dieser Email hätte hier
der Versuch einer Antwort stehen sollen. Hat aber nicht geklappt. So wird es bei
dieser Mail bleiben, die dann vielleicht so was wie eine Vorschau auf das nächste
Mal wird, auf den richtigen Text. (Inzwischen übrigens habe ich noch ein paar Mal mit
Belgien hin- und hergemailt und habe nun den Auftrag – es wird also ernst.) So wie
ich mich im Moment überhaupt in so etwas wie in der Vorschau auf mein
kommendes Leben in Berlin befinde, scheint mir.


Wir haben neulich auch über meinen Plan einen kleinen Kunstraum zu eröffnen,
gesprochen. Dieser Plan hängt eng mit unseren Überlegungen zusammen, wie man
sich der Kunst aus anderen Kulturen nähern könnte. Auch deshalb, weil ich ja die
Idee immer noch sehr verlockend finde, dass wir eines Tages zusammen einen Ort
für 'Non-Western' art and music bespielen werden (wie man so schön sagt). Übrigens
habe ich kürzlich auf einer Website eine Literaturliste zum selben Thema gefunden,
die ausgedruckt acht Seiten lang war! Da verlässt einen fast der Mut, das ganze
überhaupt theoretisch untermauern zu wollen. Auf lange Sicht wird das aber wohl
nicht zu vermeiden sein.


Für meinen kleinen Kunstraum (der in dem 'halben' Zimmer in meiner hoffentlich bald
bezugsfertigen Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung sein wird) aber quäle ich mich erst
mal noch nicht durch die ganze Theorie – ein Konzept will aber dennoch benannt
sein. Diese Woche habe ich einen Stempel drucken lassen (allein das Entwerfen des
Stempels hat mich schon sehr angespornt):

Please save the date: 9 January 2009
Opening
BABUSCH
Project Space for Art from and about Elsewhere
Kopenhagener Str. 33, Berlin-Prenzlauer Berg
Will be open on Fridays from 5 to 8 p.m.
For news join 'Babusch' the group on Facebook.com.

Meinst Du, die Leute verstehen, was ich meine?


Fragt sich, Dich und alle MitleserInnen:
Deine Barbara

Babusch 2010: www.babusch.org