Französische Meisterwerke in der Bundeskunsthalle, Bonn
Sinn und Sinnlichkeit
„Poussin, Lorrain, Watteau, Fragonard... Französische Meisterwerke des
17. und 18. Jahrhunderts aus deutschen Sammlungen“ in der Kunst- und
Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Museumsmeile Bonn,
Friedrich-Ebert-Allee 4, 53113 Bonn. Bis 14. Mai 2006
erschienen am 27. April 2006 auf artnet.de: artnet.de/magazine/franzosische-meisterwerke-in-der-bundeskunsthalle-bonn
Der Eindruck, den die Ausstellung „Poussin, Lorrain, Watteau, Fragonard... Französische Meisterwerke des 17. und 18. Jahrhunderts aus deutschen Sammlungen“ in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn hinterlässt, ist zwiespältig. Das ist bedauerlich, denn die vom ehemaligen Chef des Louvre, Pierre Rosenberg, kuratierte Ausstellung ist alles in allem wunderbar. Mit dem Titel aber hat man sich ein Bein gestellt: Von den genannten Künstlern sind jeweils nur einige wenige Meisterwerke zu sehen – darunter allerdings die Marquise de Pompadour (1756) von François Boucher (1703-1770) oder Jean-Honoré Fragonards (1732-1806) Mädchen mit Hund (1770-1775), beide aus den Bayrischen Gemäldesammlungen. Die Enttäuschung, die sich aus der Diskrepanz zwischen Vorankündigung und Realität der Ausstellung ergibt, wird regelmäßigen Besucherinnen und Besuchern der Bundeskunsthalle jedoch von anderen vermeintlichen Überblicksausstellungen her vertraut sein…
Wer dem nachvollziehbar thematisch und chronologisch gegliederten Ausstellungsparcours durch die heutzutage in Präsentationen historischer Gemälde unvermeidbar verschiedenfarbig gefassten Räume folgt, der wird mit einer Fülle von Gemälden weniger bekannter oder bisweilen vergessener Malerinnen und Maler des 17. und 18. Jahrhunderts belohnt. So finden sich unter dem Kapitel „Die lothringischen Maler“ großartige Tag- und Nachtstücke von Georges de La Tour (1593-1652). Unter ihnen fasziniert besonders das Gemälde In die Glut blasendes Mädchen (um 1646, Privatsammlung) mit seiner ungewöhnlichen Lichtführung.
Im Raum mit dem etwas unentschlossenen Titel „Die Genremalerei, Schlachtenbilder und Stillleben des 17. Jahrhunderts“ bereiten besonders die so genannten Bambocciaden Vergnügen. Aus diesen derben Szenen aus dem Volksleben – bezeichnet nach ihrem Hauptmeister Pieter van Laer, gen. Il Bamboccio (etwa 1595 bis1642) – entwickelt sich eine Schlachtenmalerei, die sich nun verstärkt für die naturalistische Darstellung der Ereignisse interessiert. Adam Frans van der Meulens (1631-1690) Ausfahrt Ludwig XIV. bildet in diesem Raum einen unterhaltsamen Höhepunkt und zieht uns mitten hinein in das Getümmel um des Königs Kutsche.
Dem „Grand Genre“, der Historienmalerei des späten 17 . und des 18. Jahrhunderts, werden in der Ausstellung mythologische Darstellungen von Charles Natoire (1700-1777) wie Amor und Psyche oder Die Entwaffnung Amors durch Venus (beide Stiftung Freiherr Cornelius Wilhelm und Freifrau Sophie von Heyl zu Herrnsheim, Kunsthaus Heylshof) von Charles-André Vanloo, gen. Carle Vanloo (1705-1765) gegenübergestellt. In dieser Zeit halten das Frivole und das „Galante“ Einzug in die bildende Kunst. Nacktheit erhält eine neue Bedeutung, für deren Konstituierung der passionierte Maler so genannter galanter Szenerien, Jean-Honoré Fragonard, maßgeblich mitverantwortlich war. Nicht zuletzt gehören Natoire und Vanloo ebenso zu Fragonards Lehrern wie Boucher und Simeón Chardin (1699-1779), dessen Rübenputzerin (um 1738, Bayrische Staatsgemäldesammlungen) durch die klare Komposition und malerische Qualität besticht.
Neben den klassizistischen Historienbildern des Jacques-Louis David (1748-1825) im letzten Abschnitt der Ausstellung finden sich die weniger bekannten Seestücke von Claude-Joseph Vernet (1714-1789). Die dramatischen Gemälde von Schiffbrüchen, Seestürmen und Bränden in Häfen veranschaulichen das Bewusstsein des Malers für das Ausgeliefertsein des Menschen an das Wüten der Naturgewalten. Dass hier einmal mehrere Gemälde von einem Maler zu sehen sind, erweist sich als erhellend, ist doch erst dadurch zu erkennen, mit welcher Hingabe sich der Maler diesem besonderen Themenkomplex gewidmet hat.
Im selben Ausstellungsraum entfalten Marguerite Gérards (1761-1837) reizvolle Darstellungen bürgerlichen Lebens ihren unwiderstehlichen Charme. Die malerische Könnerschaft der Künstlerin wird unter anderem in der für Gérards Kunst so charakteristischen Behandlung des Kleides der Gitarrenspielerin auf dem Gemälde Schlafe, mein Kind (um 1786, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe) sichtbar: Der schimmerndweiße Stoff scheint geradezu zu knistern. Irritierend ist, dass der erläuternde Text auf dem Bilderschild nur die vermutete Mitautorschaft von Gérards Schwager und Lehrer Jean-Honoré Fragonard nennt, ohne auf die wohl zumindest gegen Ende von Fragonards Leben gleichberechtigte künstlerische Beziehung zwischen den beiden Malern einzugehen. Solches leistet glücklicherweise das begleitend erscheinende Katalogbuch, das zudem in vielen sorgfältigen Beiträgen die deutschen Sammlungen der deutschen Königs- und Fürstenhöfe untersucht, aus denen Pierre Rosenberg die Ausstellung bestückt hat.
Abschließend sei auf ein Stillleben mit Pfirsichen (um 1790, Heidelberg, Kurpfälzisches Museum der Stadt Heidelberg) des weitgehend vergessenen Gérard Spaendonck (1746-1822) hingewiesen, ein bisher unpubliziertes kleines Gemälde in Öl auf Marmor. Allein die Entdeckung dieses exquisiten kleinen Stückes entschädigt für jede Verstimmung.