Immer neu: Keramik in der zeitgenössischen bildenden Kunst

veröffentlicht in: Mit Feuer und Flamme, Kat. Villa Rot, Burgrieden-Rot 2011, S. 15-18


Aufmerksamen Kunstinteressierten ist es wohl schon aufgefallen, in Galerieausstellungen wie in Museen gibt es zunehmend Töpferkunst zu sehen: als Geschirr, zartes Gebilde oder grober Klumpen, bunt glasiert, einfarbig oder ganz roh, figürlich, abstrakt oder ungegenständlich – Keramik tritt zur Zeit in allen möglichen Formen in Erscheinung.

Woran liegt es nur, dass Keramik als Medium zur Zeit so angesagt ist? Traditionell wird Keramik, oder Töpferei, eher dem Kunsthandwerk zugerechnet als der Bildenden Kunst. Natürlich: Picassos bemalte Teller sind berühmt und bewundert, und Künstler wie Otto Piene, Tony Cragg, Thomas Schütte, Miquel Barceló sowie besonders asiatische Künstler wie Leiko Ikemura oder Ai Weiwei arbeiten schon seit langem mit Keramik – was ihnen bisher eine durchaus außergewöhnliche Position innerhalb des Feldes der bildenden Kunst gesichert hat. Aber in den letzten Jahren leisten ihnen immer mehr jüngere Künstler gute Gesellschaft. Die Begeisterung für Keramik scheint sich rasant auszubreiten.

Die Erklärung für solche Phänomene ist immer schwierig, wenn nicht ganz unmöglich. Wie so oft scheint aber auch in diesem Falle die naheliegendste Vermutung zugleich auch diejenige zu sein, die am nächsten an eine Antwort heranführt: In den vorangegangenen Jahrzehnten haben sich die Grenzen zwischen den verschiedenen Künsten, zwischen Genres, Gattungen und Medien zunehmend aufgelöst. Diese Entwicklung betrifft inzwischen auch die kunsthandwerklichen Richtungen wie eben Keramik, die für so lange Zeit eher niedrig im Ansehen der meisten bildenden Künstler stand. Inzwischen jedoch sind nicht nur, aber besonders Bildhauer fasziniert von dem leicht zu formenden Material – die meisten haben schon einmal mit Ton experimentiert, haben gerade etwas im Ofen oder zumindest schon mal ein großes Stück Ton gekauft, das jetzt auf die ersten Versuche wartet. Dabei ist es nicht nur seine plastische Formbarkeit, die Künstler anzieht, sondern auch der komplexe Prozess des Brennens und der Glasierung. All dies verlangt ein hohes Maß an Handwerkskunst – sowie die Offenheit gegenüber Ergebnissen, die man so vielleicht nicht erwartet hat. Erfahrung und Vorstellungskraft sind somit wichtige Werkzeuge im komplizierten Herstellungsverfahren von keramischen Arbeiten. Trotzdem ist dabei wohl kein Künstler gegen Unfälle und Überraschungen gefeit, besonders während des Brennvorgangs: Farben erscheinen anders als erwartet, Formen zerspringen, Glasuren werfen Blasen oder bekommen Risse – womöglich ist es gerade diese gewisse Unvorhersehbarkeit, die Künstler besonders reizt.

Keramik als Medium zeichnet sich auf ganz unterschiedlichen Eben durch besondere Eigenschaften aus. Am wichtigsten erscheinen hierbei die uralte Geschichte der Töpferkunst als grundlegende Kulturtechnik, ihre reichhaltige kunsthistorische Tradition, welche jede Figurine, ob gewollt oder nicht, mit Bedeutung auflädt, die Flexibilität des Materials Ton und die spezifischen Herausforderungen des Farbgebungsverfahrens.

In Form von Alltagsgegenständen ist Keramik seit Jahrtausenden wesentlicher Bestandteil menschlichen Lebens. Von den Künstlern dieser Ausstellung befassen sich besonders Anke Eilergerhard, Otto Piene und Thomas Schütte mit den universell zu nennenden Formen und Funktionen von Keramik: Gefäße, Teller und Kacheln werden gleichsam als gefundene Formen verwendet und bearbeitet, um den jeweiligen künstlerischen Problemstellungen auf den Grund zu gehen, beispielsweise der Untersuchung von Licht und Schatten, negativer und positiver Form oder der (Dys-)Funktionalität von Objekten.

Figurinen als Dekorationsobjekte wie zum Beispiel Tafelschmuck gehören zu denjenigen Artefakten, die seit jeher besonders geschmeidig zwischen den Kategoriebegriffen Angewandte Kunst und Bildende Kunst stehen. Louise Hindsgavl, Leiko Ikemura und Anne Wenzel greifen in ihren delikaten Figuren Formensprachen und Techniken früherer Epochen auf und reichern sie an mit Bildern unserer Gegenwart wie zeitgenössischer Kleidung, Anleihen bei Comics und Popkultur oder mit Horrorelementen, so dass dichte, mitunter verstörende Ensembles entstehen.

Wie jedes andere Material eignet sich Ton im Sinne eines freien bildhauerischen Schöpfens als Stoff zur Gestaltung jeglicher Objekte und Figuren. Hier sind weder inhaltlich noch formal Grenzen gesetzt, der Ton wird vollkommen der künstlerischen Aussage unterworfen, seine stofflichen und historischen Eigenschaften treten im Verhältnis dahinter zurück und übernehmen die klassische dienende Funktion des Werkstoffes in einer Skulptur. Dabei entstehen Objekte und Figuren wie zum Beispiel im Werk von Ai Weiwei, Anke Eilergerhard, Edith Plattner, Richard Deacon , oder Thomas Schütte, die sich teilweise auf der Schwelle zwischen Repräsentation und Ungegenständlichkeit bewegen.

Weitgehend ungegenständlich erscheinen die Keramikarbeiten, die vorrangig in der Auseinandersetzung mit den besonderen Eigenschaften des Mediums Ton entstehen. Hier werden alle Möglichkeiten und Eigenheiten voll ausgeschöpft: die Spannung zwischen der Weichheit des Materials im Rohzustand und seiner Härte nach dem Brennen, die Bandbreite der Farbgebung von natürlichen Tonfarben, über das klassische Porzellanweiß bis hin zu den schillerndesten Glasuren – es wird geknetet, geschnitten, gehauen, ja, sogar gebissen, und mitunter geradezu hemmungslos auf der ganzen Breite der Farbskala sowie mit den verschiedenen Glasurtechniken experimentiert. Die Werke von Markus Karstieß, Richard Deacon , Norbert Prangenberg, Anke Eilergerhard und Uwe Karlsen sind dafür eindrucksvolle Beispiele der Ausstellung.

Immer öfter erscheinen zudem, gerade in Werken von Künstlern der jüngeren Generation, Verbindungen von Keramik mit anderen Materialien wie Leder, Metall, gefundenen Objekten oder synthetischen Stoffen. Auch dies ist wohl ein Zeichen für die allmählich zu ihrem Abschluss kommende gänzliche Einverleibung der Keramik in die bildende Kunst. Mit dieser, der notorischen Unersättlichkeit der Kunst entspringenden, Vereinnahmung des Mediums stellt sich die Kunst – wieder einmal – der Herausforderung, Zuschreibungen und Bestimmungen umzudeuten und in ihrem Sinne zu verwandeln. Dabei spielt es keine Rolle, wie alt das Medium ist, dessen sie sich bedient – es ist immer neu.