Pressetext

Serendipities
Versuchsanordnungen von Stefan Burger, Anja Ciupka und Susanne Kutter
kuratiert von Barbara J. Scheuermann für Velvet Projects, Berlin 2009

„Der Begriff Serendipity bzw. Serendipität, gelegentlich auch Serendipity-Prinzip bzw. Serendipitätsprinzip,
bezeichnet eine zufällige Beobachtung von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem, das sich als neue und
überraschende Entdeckung erweist.“

Der Künstler als Forscher, das Atelier als Labor, das Kunstwerk schließlich „nichts weiter“ als eine
Versuchsanordnung, aus der sich – ohne weiteres Zutun im Verlauf des Versuchs – etwas ergeben hat,
das womöglich zu Beginn des Experiments noch gar nicht absehbar war, nicht absehbar sein konnte.
Ihre Rolle als Forscher und potentielle Welterklärer nehmen die in „Serendipities“ präsentierten
Künstler Stefan Burger, Anja Ciupka und Susanne Kuttter gleichsam wörtlich und liefern mit
scheinbar simplen Versuchsanordnungen neue Perspektiven auf vermeintlich Vertrautes.


Noch bevor die Besucher den Ausstellungsraum richtig betreten können, begrüßt sie Stefan Burgers
Video „Abstraktion und Blattmimese I“, in dem ein Chamäleon sehr zögerlich und unendlich langsam
einen nachgebauten Modell-Kunstausstellungsraum betritt. Inspiriert ist dieses Setting unter anderem
von einem Gemälde des amerikanischen Malers Mark Tansey (geboren 1949): Auf „The Innocent Eye
Test“ (1981) ist eine Kuh zu sehen, die einem großen Gemälde von zwei Ochsen gegenübergestellt
wird. Umringt wird sie von Wissenschaftlern, die offensichtlich aufmerksam die Fähigkeiten ihres
„unschuldigen Auges“ testen, so wie in Stefan Burgers Video das Rezeptionsverhalten des
Chamäleons angesichts moderner Kunst untersucht wird. Anders als Tanseys Kuh jedoch, die - sei es
aufgrund der medienimmanenten Bewegungslosigkeit oder aufgrund ihres Kuh-Naturells - der
Konfrontation mit den gemalten Ochsen standhält und sie unverwandt ansieht, beschließt Burgers
Chamäleon schon vor dem eigentlichen Betreten des Modellmuseums, also vor der Konfrontation mit
den Kunstobjekten, doch lieber gleich zur Seite wegzuschleichen und sich aus dem Bild zu stehlen –
unverhofft findet sich der Besucher mit derselben Frage wie das Chamäleon wieder: eintreten oder
sich der Kunst lieber entziehen? Da befindet er/sie sich freilich schon längst mittendrin.


Die Installation „Swaying palm trees line the sandy white beaches, as they meet the atlantic ocean”
(2002) von Susanne Kutter wirkt auf den ersten Blick wie achtlos zurückgelassenes Gerümpel, erst auf
den zweiten Blick erschließt sich die wohldurchdachte präzise Anordnung der Kartons, des
Aquariums, eines Diaprojektors und mehrerer Gläser. Susanne Kutters Versuchsbeschreibung lautet:
„Das Licht eines Diaprojektors fällt durch ein Aquarium mit sprudelndem Wasser. An die Glasscheibe
wurden farbige Folien geklebt. Dadurch wird in einem umgekippten Pappkarton ein
Sonnenuntergang abgebildet. Drei bunte Plastikpalmwedel, die man als Dekoration für Eisbecher oder
Cocktails verwendet, werden von einem Ventilator wild zerzaust. Schwenkt der Ventilator weiter,
hängen die Palmwedel schlapp herunter.“ Es mag erstaunen, dass dieses an sich spröde Setting das
romantische Bild von sachte im Wind wehenden Palmen am Strand hervorbringt. Abhängig ist die
Existenz dieses beinahe kitschigen Bildes jedoch von der Position des Ventilators – ohne seine direkte
Luftzufuhr verschwindet es und die Gegenstände verwandeln sich von der durchdacht komponierten
Anordnung zurück zum Gerümpel, jedoch nur für einige Sekunden.


In einer black box präsentiert Anja Ciupka das zwanzigminütige Video „Black out“, das bei
gleichbleibender Kameraeinstellung eine mit einer 80 Meter langen Lichterkette geschmückte Tanne
nachts auf einer Waldlichtung zeigt. Das mit einer im Night-Shot Modus einer Videokamera
aufgenommene, schwarzweiße Bild wird von dem lauten Knattern eines Generators begleitet, der die
Lichterkette mit Strom versorgt. Die Stromzufuhr wird immer wieder gestört oder unterbrochen, und
die Lichter gehen in unregelmäßigen Rhythmus an und aus. Entsprechend nimmt das Knattern des
Generators zu und ab. Die Momente, in denen der Generator zum Schweigen kommt, bedeuten
Augenblicke einer wohltuenden Stille – in denen jedoch gleichzeitig auch das Bild den Blicken
entzogen wird. In diesen Sekunden ist der „blackout“ komplett und kann nicht nur als Stromausfall
oder Verdunkelung empfunden werden, sondern auch in seiner Bedeutung als Ohnmacht. Es gibt
keine weiteren Hinweise, keine Erklärung dafür, wieso nachts im Wald mit großem Aufwand ein
leuchtender Weihnachtsbaum betrieben – und mit einer speziellen, für Dunkelheit geeigneten Kamera
gefilmt – wird. Anja Ciupka verzichtet hier auf jegliche Erzählung und lenkt so die ganze
Aufmerksamkeit auf die bizarre Konstellation einer als Weihnachtsbaum geschmückten und mit viel
Lärm betriebenen Tanne mitten im nächtlichen Wald. Wer hat die Tanne mitten im Wald
weihnachtlich geschmückt? Wer hat sich die Mühe gemacht, den Generator eigens in den Wald zu
schaffen? Und warum?


Auf den ersten Blick zeigt das Video „Turn Over“, das Anja Ciupka 2006 für die Westdeutsche
Landesbank in Düsseldorf realisierte, noch weniger: anfangs ist nur der Flur eines Bürogebäudes zu
sehen. Ab und zu durchquert ein Mitarbeiter der Bank das Bild und geht den Gang entlang. Erst nach
ein paar Minuten betreten von links kommend einige Schafe die Bildfläche, die dank der Perspektive
wie ein Bühnenraum wirkt. Der Überraschungseffekt ist einigermaßen groß, denn Umgebung und
Tiere passen fraglos in keiner Weise zueinander. Die Schafe blicken kurz um sich und verlassen das
Bild schließlich nach rechts.


Stefan Burger, 1977 in Baden geboren, lebt und arbeitet in Zürich.
Anja Ciupka, 1975 geboren in Zwickau, lebt und arbeitet in Düsseldorf.
Susanne Kutter, 1971 in Wernigerode geboren, lebt und arbeitet in Berlin.