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Hamra Abbas, Eli Cortiñas Hidalgo, K8 Hardy, Freya Hattenberger
2009
Im Spätsommer 2008 luden die Kunstagenten Stefanie Feldbusch und Andreas Wiesner mich ein, eine Ausstellung in ihren Galerieräumen zu kuratieren. Was mich als Museumskuratorin an dem Angebot besonders reizte, war die Möglichkeit, endlich einmal, sozusagen in einer spontanen kuratorischen Geste, künstlerische Positionen zu zeigen, die mir, gleichsam am Wegesrand, im Zuge von Messe-, Ausstellungs-, Galerie- und Atelierbesuchen in letzter Zeit aufgefallen waren. Diese Gelegenheit ergibt sich im Museum leider viel zu selten, da hier meist mit sehr langen Vorlaufszeiten gearbeitet wird.
So ist RECENTLY SEEN AND ADMIRED aus der Begeisterung für einzelne prägnante künstlerische Positionen entstanden und dem Wunsch, diesen eigene Räume einzurichten. Dementsprechend wird in der Galerie der KUNSTAGENTEN jeder der vier eingeladenen Künstlerinnen ein Raum zur Verfügung gestellt, in dem sie jeweils aktuelle Arbeiten präsentieren, die alle zum ersten Mal in Berlin zu sehen sein werden.
Allen Künstlerinnen ist gemeinsam, dass sie die menschliche (weibliche) Figur in den Mittelpunkt ihres Schaffens stellen und mit ihren Figuren – und nicht zuletzt den Betrachtern – ein doppelbödiges Spiel spielen.
Auf Hamra Abbas wurde ich aufmerksam, als ich mich für eines meiner Projekte an der Tate Modern 2007 besonders mit Kunst aus dem Nahen und Mittleren Osten beschäftigte. Abbas' Arbeiten überzeugten mich sofort durch ihre enorme Präsenz und nicht zuletzt ihre Vielfalt, die von der beeindruckenden Souveränität der noch jungen Künstlerin zeugt. Bis heute gibt es von ihr – unter anderem! – Gemälde in der Manier pakistanischer Miniaturmalerei, Videoarbeiten (zum Teil während ihres Arbeitsaufenthaltes in Berlin entstanden), fragile Papiercollagen und riesige, unerschrocken das Kitschige streifende Skulpturen.
In unserer Ausstellung begrüßt die Besucher gleich im ersten Raum genau eine solche Skulptur, Woman in Black (2008). Auf einem runden Podest stehend, überlebensgroß und glänzend ist auf den ersten Blick alles übertrieben, alles zuviel an dieser Frau: ihre gewaltigen Brüste, ihr herablassender Blick und nicht zuletzt der erhobene Mittelfinger, der geradezu dazu angelegt scheint, den Betrachter vor den Kopf zu stoßen. Wer ist diese Frau in Schwarz? Zweifellos eine neue Vision der Superheldin schlechthin, die an Lara Croft und Kolleginnen erinnert. Sie vereint in sich Weiblichkeit, Stärke, Gewaltbereitschaft, Siegesgewissheit und dies alles in übermenschlichem Maße. Neben dem Bezug zum Superheldentum ist der Künstlerin, die in Kuwait geboren wurde und in Islamabad und Boston lebt, auch die Referenz zu hinduistischen Tempelfiguren wichtig. So überraschend die Verbindung zwischen Comic-Superheldin und Tempelfigur zuerst einmal anmuten mag, so plausibel scheint er auf den zweiten Blick, denn gleichermaßen werden von der Superheldin wie von der Göttin Schönheit, Macht und Kraft verkörpert. Die Skulptur erlangt dadurch eine weitere Ebene, die auf den Zusammenhang zwischen Tradition und Gegenwart sowie östlicher und westlicher Kultur verweist. Dieses, für Hamra Abbas zentrale Thema, ist auch für ihre Arbeit „All Rights Reserved“ von großer Bedeutung. Formal grundverschieden von den anderen hier gezeigten Werken, zeigen die vier Tafeln Elemente, die aus dem Ausstellungskatalog King of the World – The Padshahnama (1997) entnommen wurden.Das kostbare "Padshahnama"-Manuskript der Königlichen Bibliothek in Windsor Castle dokumentiert die ersten zehn Jahre der Regierungszeit des Mogul-Imperators und Erbauers des Taj Mahal Shah Dschahan (1628-1666). Mit “All Rights Reserved” stellt Abbas nicht nur klassische östliche Kunst ihrer zeitgenössischen 'Weiterverarbeitung' durch westliche Wissenschaftler gegenüber, sondern stellt zudem grundlegende Fragen nach Autorenschaft und dem Recht des Künstlers am eigenen Werk.
Mit der kindlichen Judy Garland als Dorothy aus dem legendären Film „The Wizard of Oz“ (1938), der als erster Technicolorfilm gilt, tritt im nächsten Raum eine Heldin ganz anderer Art als die Woman in Black auf. Aus dem Filmzusammenhang ausgeschnitten erscheint in Eli Cortiñas Hidalgos Arbeit There is no Place like home Dorothy auf zwei übereinandergestellten Monitoren. Auf dem oberen ist ihr mädchenhaftes Gesicht mit geschlossenen Augen zu sehen, auf dem unteren die berühmten rubinroten Schuhe, mit denen sich durch Aneinanderschlagen der Fersen alle Wünsche erfüllen lassen. In Cortiñas' Arbeit wiederholt Dorothy wie ein Mantra den finalen Satz aus dem Film: „There is no place like home“, bis diese vermeintlich Trost und Erleichterung ausdrückende Aussage eine geradezu düstere Konnotation erhält und Dorothys verzückte Miene ebensogut als Ausdruck einer beunruhigenden Obsession gelesen werden kann.
Dies ist zugleich die erste Arbeit, die ich je von Eli Cortiñas Hidalgo gesehen habe und zwar 2006 in der Trinitatiskirche in Köln, bei der Ausstellung der Studenten der Kunsthochschule für Medien in Köln. Obwohl Cortiñas sich in erster Linie als Videokünstlerin begreift – und ich sie auch als solche wahrnehme –, pflegt sie neben der Videokunst auch das Medium der Collage. Aus fotografischen Abbildungen – oft Erotik- und Frauenzeitschriften der 60er und 70er Jahre entnommen – , Typografien, eigener Malerei und Schriftzügen fügt die Künstlerin auf unterschiedlichen Bildträgern wie Karton, Papier, Spanplatte oder Glas Bilder zusammen, die häufig ironisch und auf mitunter groteske Weise um das Thema Mann / Frau kreisen. Rollenklischees werden aufgenommen, zersplittert und wieder zusammengesetzt, so dass jedem Freund traditioneller Geschlechterzuschreibungen Hören und Sehen vergeht. Für die Ausstellung bei den Kunstagenten sind eigens neue Collagen entstanden, die die Künstlerin ganz unter dem Eindruck eines erst kurz zurückliegenden Paris-Besuches gemacht hat und in denen sich eine kraftvolle neue Bildsprache anzukündigen scheint..
Die Arbeiten der New Yorker Foto- und Videokünstlerin K8 Hardy habe ich 2006 auf einer Art Grabbeltisch in der Liverpooler A Foundation gefunden. Zwischen dutzenden anderer Bücher, Magazine und Publikationen lagen kleinformatige Heftchen, die kleine Version von K8 Hardy's Fashionfashion-Magazine, die mich trotz ihrer geringen Größe sofort in ihren Bann schlugen. Bei den Kunstagenten zeigen wir die größere Version der Magazine, präsentiert auf einem für diesen Zweck gezimmerten Zeitungsstand. Hier liegen die Magazine aus, um durchblättert zu werden, Sessel laden zur eingehenden Ansicht und zum Verweilen ein. In gewisser Weise beunruhigend – und zugleich einnehmend –, widersprechen die Bilder in diesen selbstgemachten Fashionfashion-Magazinen mit ihrem handgemachten Charme jeglicher konventionellen Fashionfotografie-Ästhetik, ebenso wie die Art und Weise der Künstlerin sich zu präsentieren und in den merkwürdigsten Stellungen vor der Kamera zu posieren, allzu deutlich macht, wie sehr wir an bestimmte Posen und Looks gewöhnt sind, die letztlich durch heterosexuelle – und besonders durch Mann-guckt-Frau-an-Sichtweisen – geprägt sind. Als zentrale Figur der New Yorker Frauen-/Lesbenszene und als „Radikalfeministin“ nimmt sich Hardy dieses Thema immer wieder in ihren Arbeiten an. Auch in den hier zum ersten Mal präsentierten, zu diesem Zeitpunkt noch unbetitelten Landschaftsaufnahmen mit Model (erneut die Künstlerin selbst) geht es um die Beziehung zwischen Betrachter und Betrachteter. Indem Hardy beide Rollen einnimmt – die der Fotografin und die des Models –, jedoch keine Selbstporträts im eigentlichen Sinne schafft, verwischt sie die Grenzen zwischen Subjekt und Objekt und schafft Bilder, die im besten Sinne „queer“ sind..
Auch Freya Hattenberger, deren Arbeiten mir ebenfalls 2006 beim KHM-Rundgang in Köln auffielen, stellt sich selbst ins Zentrum ihrer Bilder. In dem Video Sirene (2006), das im Untergeschoss der Galerie präsentiert wird, ist die Künstlerin zu sehen, wie sie mit den Lippen ein Mikrophon umfasst. Diese Hamndlung – die Frau, die in ihrem Mund einen phallisch geformten Gegenstand bewegt – ist zweifellos als sexuell aufgeladen zu verstehen. Dem widerspricht jedoch die offenkundig eher sachlich konzentrierte Haltung der Performerin, ebenso wie ihre neutrale Alltagskleidung und das Setting der Szene, die offenbar ein einer Art Arbeitsraum aufgenommen wurde. Bei der Präsentation in der Galerie der Kunstagenten findet die nüchterne Atmosphäre ihre Entsprechung in dem eher roh gestalteten Keller, der als Ausstellungsraum für diese Arbeit wie geschaffen zu sein scheint. Der Sound der Sirene, der durch die Rückkopplung des Mikrophons entsteht, stört die mögliche Frivolität der Szene empfindlich. So wie sich das Lutschen des Mikrophons auf der Grenze zwischen Sexyness und Sachlichkeit – und nicht zuletzt Absurdität – bewegt, so bewegt sich das teils schrille Piepsen haarscharf an der Grenze zum akustisch Unerträglichen und ist doch auch musikalische Darbietung. Der Sirenengesang stößt ab und wirkt gleichermaßen höchst betörend – ganz wie es sich für eine Sirene gehört.
RECENTLY SEEN AND ADMIRED
HAMRA ABBAS
ELI CORTINAS HIDALGO
FREYA HATTENBERGER
K8 HARDY
curated by Barbara J. Scheuermann for Kunstagenten, Berlin 2008
In late summer 2008, KUNSTAGENTEN Stefanie Feldbusch und Andreas Wiesner invited me to curate an exhibition in their gallery. As a museum curator, what I found particularly interesting about this proposal was the chance to finally be able to show artistic positions that I had come across at fairs, exhibitions, and galleries, and during studio visits, in a rather spontaneous curatorial gesture. This opportunity unfortunately arises far too rarely in museums, as exhibitions usually require very long preparation periods.
RECENTLY SEEN AND ADMIRED thus evolved from enthusiasm for the work of four individual artists and the desire to grant them their own spaces. Each of the invited artists has been given their own space in the gallery KUNSTAGENTEN, where they present their current works. These works are all being shown for the first time in Berlin. The artists share a particular focus on the human (female) figure, and play an ambiguous game with their motifs, as well as with the viewer.
I became aware of Hamra Abbas’ work in 2007, whilst researching Middle Eastern art for one of my projects at Tate Modern.
Abbas’ works struck me straight away, with their enormous presence and diversity, which demonstrated the young artist’s impressive sovereignty. The artist’s ouvre includes works made in the style of Pakistani miniature paintings, video (partly executed during her working stay in Berlin), fragile paper collages, and huge sculptures, which fearlessly border on the kitsch. In the first room of our exhibition, the visitor is met by one of these sculptures, the Woman in Black (2008). The sculpture stands on a round pedestal, larger than life and shimmering. On first glance, everything about this woman is exaggerated, too much - her huge bust, her dismissive glance, and the extended middle finger, which appears to be directed at the viewer. Who is this woman in black? No doubt a new type of superwoman, who brings to mind Lara Croft and her ilk. She is a combination of femininity, violence and certainty of victory, all presented in larger than life dimensions. In addition to superheroes, references to Hindu temple figures also play a significant role in the work of the Kuwait-born artist, who now lives in Islamabad and Boston. The link between comic super-heroine and temple figure may initially seem surprising, but on second glance, it also appears plausible, because the super-heroine, like a goddess, embodies beauty, power, and strength.
The sculpture thus also functions on another level, referring to the link between tradition and contemporaneity, as well as Eastern and Western culture. These themes, which are central for Hamra Abbas, also play an important role in another of her works, All rights reserved. It is formally distinct from the other pieces displayed here, and consists of four boards comtaining elements taken from the exhibition catalogue King of the World – The Padshahnama (1997). The precious Padshahnama manuscript, from the Royal Library in Windsor Castle, documents the first 10 years of the rule of Shah Jahan (1628-1666), the Mughal Emperor who commissioned the construction of the Taj Mahal. In All rights reserved, Abbas not only juxtaposes classical Eastern art with its contemporary ‘processing’ by Western academics, but also poses fundamental questions about authorship and the right of the artist to their own work.
A heroine of a very different kind to the Woman in Black appears in the next room. It is the childlike Judy Garland, in her role as Dorothy in the first technicolour film, the legendary Wizard of Oz (1938). In Eli Cortiñas Hidalgos’ work There is no Place like home, Dorothy is cut out from the film context, and appears on two monitors, one displayed above the other.
On the top screen we see her girly face, her eyes closed, and on the one below, the famous ruby red shoes which can fulfil all wishes when clicked together. In Cortiñas' work, Dorothy repeats the final sentence from the film “There’s no place like home“ like a mantra, until this comforting and reassuring sentence gains a rather more dark connotation, and Dorothy’s ecstatic face can also equally be read as the expression of a rather disturbing obsession.
This was the first of Eli Cortiñas Hidalgo’s works that I encountered at the Cologne Media Art School exhibition in the Trinity Church in Cologne in 2006. Although Cortiñas primarily regards herself as a video artist (which I do too), she also works with collage. The artist attaches photographic illustrations – often taken from erotic and women’s’ magazines of the 60s and 70s - typography, her own paintings and lettering to diverse surfaces such as card, paper chipboard or glass. The resulting works frequently deal with the theme of man/woman in an ironic and occasionally grotesque way. Role-related clichés are taken up, taken apart, and reassembled, so that all traditional notions of gender assignment are lost.
For the exhibition, the artist has made new collage works based on her impressions of a visit to Paris, and which appear to herald the arrival of a powerful new pictorial language.
I discovered the work of the New York photo and video artist K8 Hardy in a bargain bin of sorts at the A Foundation in Liverpool, in 2006. Lying amongst dozens of other books, magazines and publications were small-format pamphlets, smaller versions of K8 Hardy’s Fashionfashion magazine. They immediately caught my eye, despite their small size.
At the KUNSTAGENTEN we show the larger version of the magazine, which are presented on a purpose-built newspaper stand. The magazines are laid out so that they can be leafed through, and armchairs invite visitors to look at them and linger for a while. In some ways disturbing, but also engaging - the pictures in the home-made Fashionfashion magazines, with their cut and paste-charm, do not meet one’s expectations of conventional fashion photography aesthetics. This also applies to the way in which the artist presents herself. She poses in front of the camera in the strangest ways, making it all too clear how used we are to particular poses and looks, which are ultimately shaped by heterosexual (and ‘male looking at female’) perspectives. A central figure in the New York women’s/ lesbian scene and a „radical feminist,” Hardy repeatedly addresses this theme in her work. Also presented here for the first time, are the yet untitled landscape pictures with model (again the artist herself). These works refer to the relationship between viewer and viewed. Hardy adopts both roles, that of the photographer and of model, but they not however, self-portraits in the real sense, and blur the boundaries between subject and object, thus creating pictures that are ‘queer’ in the best sense.
Freya Hattenberger, whose work I also noticed during the KHM-tour in Cologne in 2006, is another artist who places herself at the centre of her work. In the video Sirene (2006), which is shown in the gallery basement, we see the artist put her mouth around a microphone. This treatment – the woman moving a phallic object in her mouth, has explicitly sexually charged connotations. This notion is however, contradicted by the performer’s expertly concentrated pose, as well as her neutral everyday clothing, and the setting of the scene, which is clearly a kind of work space. The work’s sober atmosphere is well suited to its presentation in the rather raw context of the KUNSTAGENTEN basement, which seems to have been purpose-built for it. The siren sound generated by the microphone feedback, disrupts the potential flippancy of the scene. In the same way that the sucking of the microphone shifts between sexiness, objectivity, and absurdity, the piercing sound borders on the intolerable, but is at the same time a musical performance. The siren’s song is both unpleasant and beguiling, just as it should be.